Walzer, Küsse und Intrigen - Michaels, K: Walzer, Küsse und Intrigen
zwischen die Blätter legte und das Buch darüber zuklappte. „Ich lese da gerade eine sehr interessante, wenn auch ziemlich bizarre These.“
„Schön, dann ist es vermutlich nicht Miss Austens neuestes albernes Werk?“
Lydia schüttelte den Kopf. „Das hatte ich schon gestern aus. Dies hier hatte Captain Fitzgerald mir empfohlen, von einem gewissen Thomas Payne. Es heißt Die Menschenrechte und … aber hör es dir an!“
Nun seufzte ausnahmsweise Nicole. „Wenn es eine Art Predigt ist, spar dir die Mühe.“
„Nein, nein, ich will dir nur diesen einen Absatz vorlesen. Mr Payne statuiert nämlich, wie ungeheuer wichtig es ist, stets vor der maßlosen Ausweitung von Macht auf der Hut zu sein, zu der die Machthaber neigen. Soll ich zitieren?“
„Nein.“ Nicole unterdrückte ein Lächeln. „Ich glaube, ich verstehe, was er meint. Lydia, ich will mich wirklich nicht als gelehrt darstellen, aber meinst du nicht auch, dass man deinen Mr Payne vielleicht als Revolutionär, der auf den Sturz der Regierung aus ist, ansehen könnte?“
„Ich möchte lieber denken, dass er uns nur warnt, immer wachsam zu sein.“ Lydia schloss das Buch endgültig. „Aber du könntest recht haben. So endete es für uns mit Amerika und bei den Franzosen mit ihrem König.“
Nicole legte den Kamm fort. „Aber das will hier doch niemand. Wir haben einen guten König.“
„Wirklich, Nicole? Warum dann habe ich das hier in der Schürzentasche meiner Zofe entdeckt, als ich nach dem Knopf suchte, den sie wieder an meine blaue Pelisse annähen sollte? Aus diesem Grund lese ich nämlich Mr Paynes Epistel.“ Während sie das sagte, zog sie einen ganz klein zusammengefalteten Zettel hervor und reichte ihn ihrer Schwester.
Die nahm ihn, öffnete ihn und betrachtete skeptisch den schlecht gedruckten Text. Bürger für Gerechtigkeit! Schließt euch uns an! An die Waffen gegen die tyrannische Regierung, die unsere Kinder hungern lässt und ehrliche Männer zugrunde richtet. Nachdem sie auch den Rest überflogen hatte, verstand sie Lydias Beunruhigung. „Deine Zofe hatte das in der Tasche?“
Lydia nickte. „Morgen werde ich es Rafe zeigen. Vielleicht weiß er, was davon zu halten ist. Eine Revolution ist furchtbar, selbst wenn sie notwendig ist. Und so weit hergeholt ist das nicht. Weißt du, auch hier hatten wir schon so etwas.“
„Ja, ich erinnere mich, wir haben es damals im Unterricht gehört“, sagte Nicole langsam; sie war von dem Flugblatt betroffener, als sie zeigen wollte. „Aber du glaubst doch nicht …?“
„Nein, oh, nein, vermutlich nicht. Nicht, wenn ich es ausspreche. Und ich weiß ja, dass es dich sowieso nicht interessiert. Ich … ich wünschte, Captain Fitzgerald wäre hier. Er wüsste das Richtige.“
Innerlich zuckte Nicole zusammen. „Ich habe nicht gesagt, dass es mich nicht interessiert. Oder glaubst du, ich wäre so selbstsüchtig und dächte immer nur an mich? Würde mir keine Gedanken über die unterdrückten Klassen machen oder wer sonst diese Revolution steuert. Das ist ungerecht, Lydia, wirklich.“
Ihre Schwester stimmt hastig zu, vielleicht zu hastig, sodass Nicole sich fragte, ob sie wirklich von allen als seicht und nur am eigenen Vergnügen interessiert betrachtet wurde. War das der Preis, den man zahlen musste, wenn man ohne Komplikationen leben wollte? Außerdem war denn Eigensucht ein Verbrechen, wenn man doch einfach nur auf Selbstschutz bedacht war?
Ja, so würden es manche sehen. Diese Schlussfolgerung behagte ihr nicht.
„Nicole, nun schmoll nicht. Es ist nicht so, dass ich dich nicht für die beste aller Schwestern hielte. Du duldest mich, wenn ich den Blaustrumpf spiele – wie Mama mich nennt, kaum dass sie mich mit einem Buch sieht. Wenn es nach ihr ginge, würden wir über nichts als das Wetter reden können.“
Erfreut, dass sich der Moment der Betretenheit so rasch in Luft auflöste, wechselte Nicole das Thema, um auf das zu kommen, was sie schon vor zehn Minuten hatte ansprechen wollen. „Sag, Lydia, wie kamst du darauf, den Marquis mit seinem Freund zum Dinner zu bitten? Es ist ja nicht so, dass ich nicht begeistert wäre, aber es sieht dir so gar nicht ähnlich.“
„Nicht wahr?“, entgegnete Lydia, sah auf die Uhr und erhob sich. „Ich weiß es selbst nicht. Vielleicht habe ich ja gespürt, dass du den Marquis gern wiedersehen würdest. Dass er dich wiedersehen wollte, war ja wohl kein Geheimnis. Den Wunsch hatte bisher noch jeder Mann, der dich sah.“
In
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