Wandel
viele Lektionen hatte ich gebraucht, um zu wissen, was ich heute wusste?
Was, wenn Molly die nächste Lektion nicht überlebte?
Sie sah mich an und fragte: „Was?“
„Wir müssen los. Während ihr drei mit dem Ik’k... mit dem Ik’koo-koo-kachoo …“ Krampfhaft verzog ich die Nase, konnte mich aber einfach nicht mehr an den Namen des Monsters erinnern. „Während ihr mit dem Ick gespielt habt, durfte ich die Eebs kennenlernen. Sehr charmant, die zwei, auf eine total unmoralische, mordlüsterne Art. Thomas hat recht: Die beiden sind unter Garantie hinter mir her und warten nur darauf, dass ich mir eine Blöße gebe. Wir müssen verschwinden.“
„Wohin?“
„St. Mary. Der Rote Hof kann sich auf heiligem Boden nicht bewegen, und Susan weiß, dass ich mich in einer solchen Situation schon einmal in diese Kirche zurückgezogen habe. Martin und sie können mich dort jederzeit erreichen. Ich muss mich jetzt erst mal ein bisschen ausruhen.“
Sie erhob sich und nickte. „Gut. Ich suche dir ein paar Klamotten zum Wechseln zusammen.“
„Ruf erst mal ein Taxi“, sagte ich. „Wenn du packst, vergiss das Tylenol und ein bisschen Futter für Mouse nicht.“
„Gut. Alles klar.“
Auf die Krücken gestützt blieb ich stehen, während Molly eifrig im Zimmer umherwuselte. Ich wagte es nicht, mich zu setzen. Die Pillen hatten dem Schmerz einen heftigen Dämpfer versetzt, mein Hirn funktionierte jetzt, wenn auch noch langsam, in enger Zusammenarbeit mit meinem Körper, aber ich fürchtete, dass Entspannung wieder in totaler Passivität enden würde.
„Wer rastet, der rostet“, brummte ich, „und das sagst du jetzt fünfmal ganz schnell hintereinander.“ Was ich auch versuchte, um mich wach zu halten. Es gelang mir halbwegs.
Eine Weile später meldete sich Mouse leise bellend von den oberen Treppenstufen, und Molly stapfte schwerfällig zu ihm hinauf. „Das Taxi ist da, Harry“, rief sie zu mir herunter.
Folgsam setzte ich mich in Bewegung. Treppensteigen machte keinen Spaß, wenn man an Krücken ging, aber ich absolvierte diese Übung nicht zum ersten Mal. Ich nahm mir Zeit, ging langsam und vermied ruckartige Bewegungen.
„Pass auf!“, schrie Molly von oben.
Eine Flasche zerschellte weiter oben an der inneren Treppenhauswand. In Windeseile breitete sich der Inhalt, an der Oberfläche brennend, auf der Treppe aus. Der gute alte Molotowcocktail – seit hundert Jahren in Gebrauch und noch immer eine äußerst effektive Waffe. Feuer, das so heiß brannte, saugte den Sauerstoff aus der Luft. Besonders, wenn es ein nettes, dunkles Treppenhaus als Schornstein nutzen konnte. Dann brannte es so heiß, dass man nicht unbedingt etwas vom Benzin abbekommen musste, um in Flammen aufzugehen, dann saß man in einem Ofen, dessen Brandherd einem schon auf eine gewisse Entfernung die nackte Haut versengte.
Ich hatte es erst bis zur dritten Stufe geschafft und taumelte zurück, ehe ich mir irgendwelche Körperteile röstete – das hatte ich bereits erlebt, das brauchte ich echt nicht noch mal. Ich landete sogar mehr oder weniger so, wie ich hatte landen wollen, was höllisch wehtat, aber immerhin fiel ich nicht in Ohnmacht. Allerdings schrie ich: Ein Schwall unflätiger Flüche prasselte auf das Feuer ein, das über mir wild röhrend vom Treppenhaus auf den Rest des Hauses übersprang, wo es sich im alten Holz verbiss wie ein sehr lebendiges, heißhungriges Wesen.
„Harry!“, rief Molly von irgendwo jenseits der Flammen. „Harry!“
Mouse bellte, ein herzzerreißendes Belfern. Das Feuer stieg inzwischen munter die Seitenwände des Hauses hoch. Außen. Bis die Rauchmelder im Haus ihre Tätigkeit aufnahmen, würde schon alles zu spät sein.
Irgendwo über mir schlief Mrs. Spunklecrief wie immer um diese Zeit tief und fest, ohne etwas von der Gefahr zu ahnen, und noch weiter oben, im ersten Stock, erging es meinen älteren Nachbarn, den Willoughbys, ganz sicher ebenso. Nur weil sie das Pech hatten, im selben Haus zu wohnen wie ich.
Ich hatte eine meiner Krücken auf der Treppe fallen lassen, woraufhin sie an einem Ende Feuer gefangen hatte. Was tun? Magie kam nicht in Frage, das ging unter Garantie schief. Magie konnte ich erst wieder wirken, wenn ich gegessen und mich ausgeruht hatte. Derzeit wusste ich ja noch nicht einmal, ob ich ohne Hilfe wieder aufstehen konnte. Aber wenn ich nichts unternahm, kamen drei unschuldige Menschen – plus meiner Wenigkeit – bei einem Hausbrand ums Leben.
„Komm schon,
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