Wandel
wie er eine Grimasse schnitt und sich zwang, locker zu lassen, aufzugeben. Ganz langsam wich die Anspannung aus seinem Körper. Er hob beide Hände mit den Handflächen nach oben und reckte das Kinn, bot meinem Hund seine Kehle dar.
„Lass los“, keuchte er. „Ist gut. Mouse kann loslassen.“
„Zeig mir deine Augen“, befahl ich.
Er sah mich an. Seine Augen glänzten hellgrau, nur einzelne metallene Flecken spiegelten noch den Hunger wider.
„Mouse!“, flüsterte ich.
Ganz langsam nur ließ Mouse die Spannung aus seinem Kiefer weichen, zog sanft die Zähne aus Thomas Hals. Er wich ein paar Schritte zurück, um sich mit gesenktem Kopf, die eigene Kehle schützend, kampfbereit hinzusetzen, die Augen nach wie vor fest auf Thomas geheftet. Sobald er saß, gab er keine Geräusche mehr von sich und bewegte sich auch nicht, was bei einem Hund seiner Größe sehr seltsam und ein wenig gespenstisch aussah.
„Ich kann hier nicht blieben.“ Die Bisswunden an Thomas’ Hals waren rot und geschwollen, die Ränder leicht geschwärzt, als wären die Zähne von Mouse glühend heiß gewesen. „Nicht, wenn sie so ist.“ Thomas schloss die Augen. „Ich wollte das nicht, tut mir leid.“
Ich warf einen Blick auf Molly. Die hatte sich zitternd und immer noch schwer atmend in Embryohaltung zusammengerollt.
„Raus mit dir“, sagte ich.
„Aber wie willst du dann …“
„Thomas!“ Die Wut verlieh meiner Stimme trotz aller Erschöpfung eine gewisse Stärke. „Du hättest Molly verletzen können, du hättest sie umbringen können, und der Einzige hier im Raum, der aufpasst und mich adäquat verteidigen könnte, muss auf dich aufpassen, statt Wache zu schieben. Das geht nicht. Raus mit dir, so bist du keine Hilfe für mich.“
Mouse unterstützte mich durch warnendes Knurren.
„Es tut mir leid“, wiederholte Thomas. „Es tut mir leid.“
Er schlug vorsichtig einen großen Bogen um Mouse und verschwand fast lautlos die Treppe hinauf.
Einen Moment lang saß ich einfach nur da. Mir tat in jedem erdenklichen Sinn so gut wie alles weh. Im ganzen Körper kribbelten unangenehme Nadelstiche, als sei er insgesamt eingeschlafen gewesen, und der Blutkreislauf nehme jetzt erst die Arbeit wieder auf. Das waren wohl die Nebenwirkungen des Seelenfeuers, wahrscheinlich hatte ich zuviel davon durch meinen Leib gejagt. Seelenfeuer, Adrenalin und Angst hatten mich noch eine Weile funktionieren lassen, aber danach war erst einmal der Ofen aus gewesen. Ich war in totaler Passivität versackt.
Jetzt hatte mir die Angst um Molly und meinen Bruder wenigstens die Stimme wiedergegeben, wobei die Götter wissen mochten, wie lange das vorhielt. Aufrecht sitzen tat mir schon weh, atmen tat weh. Irgendetwas zu bewegen tat weh und nichtszu bewegen tat auch weh.
Da konnte ich mich also genauso gut bewegen.
Nur wollte mein linkes Bein nicht mitspielen. Als ich aufzustehen versuchte, gab es wieder unter mir nach, wobei nichts als reines Glück verhinderte, dass ich auf dem Boden landete. Mouse sah sich das an. Dann lief er, ohne dass ich etwas gesagt hätte, in mein Schlafzimmer, wo ich heftigen Lärm hörte, als er unter dem Bett herumwühlte. Was nur ging, indem er es mit seinen breiten Schultern hochstemmte – aber egal: Nach einiger Zeit kam er angetrabt, eine der Krücken im Maul, die von früheren Verletzungen her noch im Haus verblieben waren.
„Was bist du doch für ein kluges Hundchen“, lobte ich ihn begeistert.
Mouse wedelte eifrig mit dem Schwanz und verschwand, um die zweite Krücke zu holen. So ausstaffiert schaffte ich es bis in die Küche. Normalerweise pfiff ich mir in solchen Situationen eine Dosis Tylenol 3 ein, ein Superzeug, nur leider ohne Rezept ausschließlich in Kanada zu beschaffen und bei uns illegal, weswegen mein Vorrat zur Zeit im irrsinnigen Garten meiner Patentante vergraben lag. Da ich also ohne Tylenol und auch ohne dessen weniger bekannten Cousin, Tylenol 2, war, dem ohnehin kein langes Leben beschert gewesen war (ich sage nur: Der Schmerz schlägt zurück!), genehmigte ich mir eine gehörige Dosis schlichtes, auch in meinen Breitengraden legales Tylenol.
Das mit dem Tylenol war gerade so langatmig, weil ich Mouse die ganze Geschichte laut erzählte, während sie mir durch den Kopf ging. Ein Hund als Gesprächspartner – das konnte peinlich werden, wenn es zur Gewohnheit wurde. Nachdem ich die Schmerztabletten mit drei Gläsern Wasser hinuntergespült hatte, sah ich nach Molly. Ihr Puls ging
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