Wandel
nicht feststellen, denn die Umhänge raubten ihnen die Identität, die Kapuzen verbargen ihre Gesichter.
Dafür erkannte ich den Mann, den sie auf ein Brett geschnallt mit sich trugen.
Er war nackt wie ich. Als ich ihm das erste Mal begegnet war, war er kleiner als ich gewesen, dafür athletischer, mit kräftigen Muskeln. Nur war das schon Jahre her. Vor mir auf dem Brett lag nur noch die Hülle eines menschlichen Wesens, wie eine Kohlezeichnung, die eine ungnädige Hand bis zur Unkenntlichkeit verschmiert hatte. Von den Augen fehlte jede Spur, als hätte man sie bei einer Operation sorgfältig aus den Augenhöhlen gelöst. Über sein Antlitz, besonders jedoch über die eingesunkenen Lider, zogen sich Tätowierungen, die in verschiedenen Sprachen und Schriften immer nur ein Wort wiederholten: „Verräter“. Der Mund stand halb offen und glich einer lebenden Elfenbeinschnitzerei, denn in die Zähne hatte man Wirbel und keltische Muster geritzt, um das Ganze danach mit etwas Dunkelbraunem zu färben.
Nicht nur das Gesicht war verziert: Den ganzen Körper überzogen Tätowierungen und kunstvolle, rituelle Narben. Sieben Lagen dünnes Seidenband fesselten den Mann auf das Brett, auf dem er lag, aber selbst diese zarten Fesseln schienen zu viel für die ausgemergelten Gliedmaßen.
Er weinte leise und unaufhörlich vor sich hin, mehr wie ein Tier, das schreckliche Schmerzen auszustehen hat. Menschliches hatte dieses Weinen kaum noch.
„Gott!“ Ich musste den Blick abwenden.
„Ich bin stolz auf dieses Werk“, sagte Mabs empfindungslose Stimme. „Der weiße Christus hat nicht so lange und so schrecklich leiden müssen wie dieser Verräter. Drei Tage an einem Baum! Das ist ja kaum Zeit für die Ouvertüre. Was das Martern betrifft, waren die Römer Amateure.“
Die Diener ließen das Brett mit Slate darauf auf die Mitte des Steintisches gleiten, verneigten sich vor Mab und zogen sich schweigend, wie sie gekommen waren, wieder zurück. Einen Moment lang hörte man nichts als den kalten Wind und Slates verzweifeltes Weinen.
„Eine Zeit lang reichte es mir, ihn zu foltern und an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Dann wollte ich sehen, wie weit ein Mensch fällt, wenn er den Schritt in den Wahnsinn schon getan hat.“ Im Schatten der Kapuze glitzerten die grünlichen Augen fröhlich. „Schade, dass nur noch so wenig von ihm übrig war. Trotzdem ist er der Winterritter. Das Gefäß meiner Macht unter den Sterblichen und der Gefährte der Winterköniginnen. Er hat mich betrogen. Sieh dir an, wohin ihn das gebracht hat.“
Das Ding, das einmal Lloyd Slate gewesen war, gab einen leisen, hoffnungslosen Laut von sich.
Ich fröstelte – nicht der Kälte wegen.
Die dunkle Gestalt kam näher. Zwischen den Falten des Umhangs tauchte eine bleiche Hand auf. Etwas leuchtete kurz in einem fremdartigen Licht auf und landete im dichten Gras zu meinen Füßen. Ich bückte mich und fand ein ururaltes Messer mit einer einfachen, blattförmigen Klinge, meiner Meinung nach aus Bronze, und einem mit Leder und Bindfaden umwickelten Griff. Die zweischneidige Klinge schimmerte heimtückisch scharf, die Spitze, scharf wie eine Nadel, wirkte irgendwie hungrig.
Energie strömte durch diese kleine, glänzende Klinge. Eine ungezähmte, wilde Kraft, die alle Grenzen verspottete, keine Zurückhaltung kannte. Nicht böse, aber hungrig. Voller Lust darauf, sich ihren Teil am Kreislauf von Leben und Tod zu holen. Das Messer dürstete nach Blutvergießen.
„Solange Lloyd Slate lebt und atmet, ist er mein Ritter“, sagte Mabs Stimme. „Nimm Medeas Dolch. Töte ihn.“
Mit dem Messer in der Hand stand ich da und sah auf Slate hinunter. Als ich ihn das letzte Mal hatte sprechen hören, hatte er mich gebeten, ihn zu töten. Jetzt war er anscheinend noch nicht einmal mehr dazu in der Lage.
„Dies ist die erste Tötung, die ich von dir verlange, falls du mein Ritter sein willst.“ Mabs Stimme klang fast schon sanft. Ihre grünlichen Augen musterten mich über den Tisch hinweg aufmerksam. „Schick seine Macht zu mir zurück, und ich werde sie dir übergeben.“
Ich stand im kalten Wind und rührte mich nicht.
Was ich in den nächsten Momenten tat, würde über den Rest meines Lebens entscheiden.
„Du kennst diesen Mann“, fuhr Mab immer noch sanft fort. „Du hast seine Opfer gesehen. Er war ein Killer, ein Vergewaltiger, ein Monster in Menschengestalt. Er hat mehr als nur den Tod verdient.“
„Es steht mir nicht zu, ihn zu
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