Wandel
verborgen, obwohl sie jetzt dichter bei mir stand als meine Patin. Ihre Augen wurden heller.
„So viele Narben.“ Die Stimme meiner Patin hatte sich kaum merklich geändert, klang teilnahmsloser, präziser. „Innen und außen. Prächtige Narben.“ Die schemenhafte Gestalt, die ich für Mab hielt, verschwand hinter einem der umgefallenen Steine, um auf der entgegengesetzten Seite des Kreises hinter einem anderen wieder aufzutauchen. „Ja“, sagte die kalte Stimme, die sich der Lippen der Leanansidhe bediente. „Damit kann ich arbeiten.“
Ich bebte. Weil es verdammt kalt war und ich nichts anhatte. Mein Blick glitt zwischen der geheimnisvollen Gestalt und meiner Patin hin und her. „Arbeitest du immer noch mit einer Übersetzerin?“
„Das geschieht zu deinem eigenen Wohl“, sagte die kalte Stimme meiner Patin, während die schattenhafte Gestalt hinter dem nächsten Menhir verschwand und gleich darauf oben auf einem anderen wieder zum Vorschein kam. Sie bewegte sich im Uhrzeigersinn.
Mab schloss den Kreis um mich .
„Warum zu meinem Wohle?“, fragte ich.
Die empfindungslose Stimme lachte durch die Lippen der Leanansidhe. „Diese Unterhaltung würde uns alle schnell ermüden, mein Magier, wenn wir dauernd unterbrochen würden, weil du schreiend auf die Knie fällst und dir vor Schmerzen die Ohren blutig kratzt.“
„Verstanden.“ Ich nickte. „Aber warum? Warum sollte deine Stimme mir wehtun?“
„Weil die Königin ärgerlich ist“, erklärte meine Patin mit ihrer eigenen Stimme. „Weil ihre Stimme Teil ihrer Macht ist und ihr Zorn zu groß, als dass sie ihn unterdrücken könnte.“
Ich musste schlucken. Als Mab Jahre zuvor ein paar Worte an mich gerichtet hatte, hatte ich wirklich genauso reagiert, wie sie es eben beschrieben hatte. Ihre Worte hatten mir so zugesetzt, dass ich mich an ein paar Minuten dieses Zwischenfalls noch immer nicht erinnern konnte. „Warum zürnt sie denn?“
Die schattenhafte Gestalt zischte, kurz und heftig, ein Geräusch wie der Katzenschrei vorhin. Auch diesmal zuckte ich zusammen und wich unwillkürlich zurück, als hätte jemand mit der Peitsche geknallt. Meine Patin sackte ächzend zur Seite. Als sie sich wieder aufrichtete, zog sich ein langer, feiner Schnitt über ihre rechte Wange. Blut quoll heraus und tropfte ihr langsam über das Gesicht.
Demütig neigte die Leanansidhe den Kopf vor der Schattenmab, ihre nächsten Worte erklangen wieder in der kalten Stimme der Winterkönigin: „Es ist meiner Dienerin nicht gestattet, über mich zu reden, mich zu hinterfragen oder überhaupt aus eigenem Antrieb zu sprechen.“
Erneut senkte Lea den Kopf. Kein Fünkchen Auflehnung oder Verdruss zeigte sich auf ihrem Gesicht. Mab bewegte sich weiter von einem Stein zum anderen, verschwand, tauchte wieder auf. Jedesmal, wenn sie verschwand, musste ich fürchten, sie könnte hinter mir wieder auftauchen, Finsteres im Sinn, und es gab nichts, was ich ihr entgegensetzen konnte. Eigentlich hätte ich mich langsam an dieses Auftauchen und Verschwinden gewöhnen müssen, aber das war leider nicht der Fall.
„Es gibt uralte Benimmregeln, an die man sich halten muss.“ Mabs Stimme klang gemäßigter, sehr formell. „Man muss Worte sprechen, Rituale durchführen. Trag dein Begehren vor, Sterblicher.“
Nun zitterte ich wirklich vor Kälte, da half es auch nichts, dass ich die Arme verschränkte, die Schultern hochzog und praktisch in mich hineinkroch. „Macht“, sagte ich.
Die schemenhafte Gestalt erstarrte, wandte sich um, sah mich unverwandt an. Die brennend grünen Kerzenaugen neigten sich leicht, als hielt Mab den Kopf schräggelegt. „Sag mir, warum.“
Meine Zähne wollten klappern. Ich verbot es ihnen. „Mein Körper ist schwer verletzt, aber ich muss trotzdem gegen den Roten Hof in den Kampf ziehen.“
„Das hast du schon viele Male getan.“
„Diesmal kämpfe ich gegen alle“, sagte ich. „Den Roten König und seinen inneren Kreis.“
Die beiden Feuer unter der Kapuze leuchteten intensiver. „Sag mir, warum.“
Ich schluckte. „Sie haben meine Tochter entführt.“
Die schemenhafte Gestalt erschauerte, die körperlose Stimme stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ahh. Ja. Nicht für dein eigenes Leben. Aber für das Leben deines Kindes. Für die Liebe.“
Ich nickte, knapp, hölzern.
„So viele schreckliche Dinge geschehen der Liebe wegen“, sagte Mabs Stimme. „Männer verstümmeln sich der Liebe wegen. Sie ermorden Rivalen der Liebe wegen.
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