Wandel
mich gefangenhielten.
Erinnerte mich allzu gut an die Dinge, die sie mir angetan hatten.
Aber noch sah es nicht so aus, als hätten sie meinem Kind etwas angetan. Noch nicht.
„Ja!“ Mabs Stimme war bar jeglicher Gemütsbewegung. Das Bild verblasste. „Das Bild zeigt dir Maggie so, wie sie jetzt gerade ist. Mein Wort darauf. Keine Tricks, keine Täuschungen. So geht es ihr in diesem Moment.“
Hinter dem immer durchsichtiger werdenden Bild warteten Mab und meine Patin. Lea mit ernstem Gesicht, Mab hatte die grünen Augen unter der Kapuze zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen.
Der kalte Wind blies in heftigen Böen über den Erdwall mit dem Steintisch, ließ die Umhänge der Sidhe flattern. Ich starrte die beiden an, blickte in uralte Augen voller Wissen um dunkle, böse Dinge. Weder der Mann auf dem Tisch noch das Kind auf dem Bild bedeuteten ihnen etwas. Wenn ich Mabs Angebot annahm, endete ich wahrscheinlich selbst auf diesem Tisch.
Denn nur deswegen hatte Mab mir Maggie gezeigt: um mich zu manipulieren.
Oder? Nein – Manipulation konnte man das, was sie getan hatte, nicht nennen. Sie hatte mir Maggie gezeigt, um mir noch einmal die Entscheidung vor Augen zu führen, die ich zu treffen hatte. Natürlich beeinflusste es meine Wahl, aber war das nicht immer so, wenn man mit den nackten Tatsachen konfrontiert wurde – und sollte es nicht auch so sein?
Konnte man jemanden mit Aufrichtigkeit und Wahrheit manipulieren?
Oder nannte man das dann eher Aufklärung?
Während ich dem verblassenden Bild meiner Tochter hinterhersah, verschwand meine Angst.
Wenn ich so endete wie Slate – wenn das der Preis war, den ich für die Sicherheit meiner Tochter zahlen musste –, dann sollte es so sein.
Wenn mich meine Tat an diesem Tag den Rest meines Lebens verfolgen würde, weil Maggies Wohlergehen mir harte Entscheidungen abverlangte – dann sollte es so sein.
Wenn ich eines Tages schmerzvoll und unter langen Folterqualen sterben musste, damit mein kleines Mädchen die Chance bekam zu leben …
… dann sollte es so sein.
Das uralte Bronzemesser wog schwer in meiner Hand. Ich packte den Griff fester.
Ich legte Lloyd Slate sanft die Hand auf die Stirn, damit er sich nicht bewegte, und schnitt ihm die Kehle durch.
Es war ein rascher, sauberer Tod. Allerdings nicht weniger tödlich, als hätte ich den Mann mit einem Beil zerstückelt. Der Tod war dergroße Gleichmacher. Es war egal, wie man ums Leben kam. Nur wann, war die Frage – und warum.
Slate wehrte sich nicht. Er stieß einen letzten Atemzug aus, der wie ein Seufzer klang, und drehte den Kopf zur Seite, als wolle er einschlafen. Schön war die Szene nicht, aber nach Horror- und Slasher-Filmfestival sah es auch nicht aus. Blut floss, aber das tat es auch, wenn man eine Grillparty vorbereitete und in der Küche massenweise Steaks bearbeitete. Ein Großteil des Blutes lief in die in den Tisch eingeritzten Rinnen, wo es sich in Quecksilber verwandelte und rasch seitlich am Tisch in den Buchstaben verschwand, die in die Tischseiten und die Beine eingeritzt waren. Das Quecksilberblut in den Buchstaben spiegelte das uns umgebende, unheimliche Licht wider, verlieh den Runen ein ganz eigenes, flackerndes Feuer. Ein furchtbar schöner Anblick: Kraft summte im Blut. Die Buchstaben, den Steintisch – alles um mich herum ergriff seine stille Macht.
Neben mir spürte ich die beiden Sidhe, die mit ruhigen Raubtieraugen zusahen, wie der Ritter, der seine Königinnen verraten hatte, starb. Als die beiden einen leichten Seufzer ausstießen, wusste ich, es war vorüber. Mit diesem Seufzer der Wertschätzung – ein anderer Begriff fiel mir dazu nicht ein – erkannten sie die Bedeutung von Slates Tod an, ohne Mitgefühl für den Verstorbenen zu empfinden. Das Leben rann aus dem zerstörten Körper dort auf dem Tisch – diesem Akt zollten sie Anerkennung, ja Hochachtung. Mehr nicht.
Bewegungslos stand ich da, während das Blut von dem Bronzemesser in meiner Hand auf die Erde zu meinen Füßen troff. Zitternd vor Kälte starrte ich auf die sterblichen Überreste des Mannes, den ich getötet hatte. Was fühlte man in solch einem Augenblick? Trauer? Eigentlich nicht. Slate war ein Schuft ersten Ranges gewesen, den ich in jedem fairen Kampf frohen Herzens getötet hätte. Reue? Noch nicht. Ich hatte Slate einen Gefallen getan, indem ich ihn tötete. Aus der Lage, in die er sich manövriert hatte, hätte ihn nichts und niemand befreien können. Freude? Nein. Vergnügen?
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