Wandel
leichtfüßig und lautlos, um vom Podium zu steigen. Er ging einmal im Kreis um Susan und mich herum und baute sich dann vor uns auf, wobei ich nicht umhinkam, bewundernde Blicke auf das überlange Schwert an seiner Seite zu werfen, dessen Knauf und Griff vor dornenartigen, scharfen Metallkanten nur so strotzten. Nachdem er uns einen Moment lang prüfend betrachtet hatte, tat er zwei Dinge, mit denen ich eigentlich nicht gerechnet hatte.
Zuerst nahm er seinen Helm ab, wodurch klar wurde, dass das Geweih nicht aus seinem Kopf ragte, sondern am Metall des Helms befestigt war. Ich hatte mich seelisch schon auf einen fürchterlichen Anblick eingestellt, aber der Herr der Kobolde sah ganz und gar nicht so aus, wie ich erwartet hatte.
Auch sein Gesicht zeigte die hässlichen Asymmetrien, die die Züge der Kobolde im Saal charakterisierten. Mehr noch, es schien all diese Züge zu reflektieren und zu transformieren, was seltsamerweise aber nicht dazu führte, dass er der Hässlichste von allen war. Ihm verliehen diese Züge eine kühne Vornehmheit, als sei er der König aller Gauner. Die schiefe Nase sah aus, als sei er nicht damit auf die Welt gekommen, sondern hätte sie sich in ehrlichem Kampf verdient. Alte, vielfach verblasste Narben verunstalteten sein Gesicht, verhalfen seiner Gesamt-erscheinung unter dem Strich jedoch eher zu einen gewissen Charme – dem Charme eines schlachtenerprobten, wettergegerbten Schurken. Mir war, als stünde ich vor einem von einem Künstler vielleicht aus einem Stück Treibholz erschaffenen Meisterwerk, in dessen seltsame Schönheit der Meister sich vertieft und das er poliert und behandelt hatte, bis etwas ganz Eigenes, in sich Reines und Einmaliges entstanden war.
In diesem Gesicht, in der ganzen Erscheinung des Erlkönigs wohnten unglaubliche Macht und Stärke. Er strahlte die Konzentration und wache Anspannung eines Raubtiers aus, das nur selten seine Beute verfehlte.
Das war das eine, womit ich nicht gerechnet hatte: seine Erscheinung.
Dann verbeugte er sich mit einer nicht mehr menschlich zu nennenden Anmut und Eleganz vor Susan, hob ihre Hand an seinen Mund und fuhr ihr mit den Lippen über die Finger. Wie ein aufgeschrecktes Reh, das noch nicht richtig dazu gekommen ist, sich zu fürchten, starrte ihn Susan mit weit aufgerissenen Augen an, ohne ihr Reporterlächeln auch nur eine Sekunde lang abzustellen.
„Jägerin!“, sagte der Erlkönig. „Dich umgibt der Geruch frischen Blutes. Wie gut er doch zu deinem Wesen passt.“
Dann sah er mich an, mit einem strahlenden Lächeln, das weiße, gerade, ebenmäßige Zähne aufblitzen ließ. Ich musste mich zwingen, seinem Blick nicht nervös auszuweichen. Der Erlkönig hatte mit mir noch eine Rechnung offen. Ich musste mir schleunigst etwas einfallen lassen, sonst war ich ein toter Mann.
„Da haben wir den neuen Winterritter“, fuhr der große Mann fort. „Dich hätte ich bei Arctis Tor fast erwischt, als dich die Oger an den Berghängen eingeholt hatten. Wärst du sechzig Herzschläge später verschwunden …“ Er schüttelte den Kopf. „Ich muss schon sagen, du bist eine überraschende Beute, Herr Ritter.“
Ich konnte nur hoffen, dass meine Verbeugung angemessen und respektvoll ausfiel. „Ich danke dir für deine freundlichen Worte, oh König“, entgegnete ich. „Obwohl mich der Zufall und nicht Planung heute hierher führt, beschämt mich die Großherzigkeit, mit der du, mein Gastgeber, uns als Gäste in deinem Heim aufnimmst.“
Der Erlkönig neigte den Kopf zur Seite, ehe sich sein Mund erneut zu einem amüsierten Lächeln verzog. „Ah! Da haben mich meine eigenen Worte hereingelegt, will mir scheinen. Die Höflichkeit ist mir keine treue Gefährtin, mich dünkt, in einem Duell der Manieren wärst du im Vorteil. Indes ehrt diese Halle Schläue und Weisheit ebenso wie Stärke.“
Leises Murmeln von Koboldstimmen begleitete die Worte des Erlkönigs. Ob die Wesen böse waren oder mich bewunderten, konnte ich nicht sagen, aber immerhin hatte ich etwas sehr Unvorsichtiges getan und es vielleicht gerade zu meinen Gunsten wenden können. Ich war dem größten Jäger des Feenreiches direkt vor die Nase gefallen, in seinem eigenen Speisesaal, fehlte eigentlich nur noch der Apfel im Mund – und dann hatte sich dieser Jäger ein bisschen in der Wortwahl vergriffen, und schon kam ich daher und beanspruchte das uralte Gastrecht. Er hatte sich verplappert und musste sich nun von mir darauf festnageln lassen, seine
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