Wandel

meiner. Wenn es hart auf hart kam, rückte der Rat zusammen.
    Nur diesmal nicht.
    Ich starrte den zusammengefalteten Brief in meiner Hand an, und vor meinem geistigen Auge entstand plötzlich das Bild eines kolossalen, uralten Baumes, der umzustürzen drohte. Ganz langsam zwar, weil er so groß war, aber schließlich fiel er doch, und alles, was unter seinen Ästen Schutz gesucht hatte, ging zu Bruch.
    Seltsamerweise ließ mich dieses Bild erstaunlich kalt. Höchstwahrscheinlich war ich zu müde, um emotional darauf zu reagieren. Dabei hätten die Gründe, weswegen solch ein Bild mich hätte zu Tode erschrecken müssen, mühelos einen ganzen Notizblock gefüllt, aber ich erschrak einfach nicht.
    Susan kam zu mir herüber. „Harry? Was ist?“
    Ich starrte ins Feuer. „Der Weiße Rat kann uns nicht bei der Suche nach Maggie helfen“, murmelte ich. „Da laufen gerade ein paar Sachen … der Rat ist nutzlos für uns.“
    Nach allem, was ich, obwohl sie mich jahrelang verfolgt hatten, für sie getan hatte, nach allem, was sie mir fälschlicherweise angetan hatten, und nachdem ich immer, immer wieder Kopf und Kragen für sie riskiert hatte, waren sie nicht da, als ich nun wirklich ihre Hilfe gebraucht hätte. Sie waren nicht für mich da.
    Ich sah zu, wie meine Hände ganz ohne mein Zutun Brief und Umschläge zerknüllten, sah zu, wie das Papier ins Feuer flog, wie die Flammen es verzehrten. Erst als die blauweiße Lichtflut der Flammen mich zwang, den Blick abzuwenden, wurde mir klar, dass das Feuer dreimal so stark brannte wie gewöhnlich. Ich brauchte mein Gesicht nur ein klein wenig vom Kamin abzuwenden, und schon war alles wieder normal – als hätte ich am Regler eines Gasherds gedreht.
    „Reiß dich am Riemen, du Trottel!“, ermahnte ich mich. Es wurde Zeit, mich zur Ordnung zu rufen, glich ich doch innerlich nach wie vor einer geladenen Pistole.
    Niemand sprach. Martin hatte sich auf eins der Sofas gesetzt und benutzte den Couchtisch als Ablage, während er seine kleine Handfeuerwaffe reinigte. Molly stand am Holzherd und rührte in einem Topf.
    Susan setzte sich dicht neben mich auf die Kaminumrandung, ohne mich aber direkt zu berühren. Sie faltete die Hände im Schoß. „Wen haben wir denn dann noch?“
    „Personen“, sagte ich leise.
    „Das verstehe ich nicht.“
    „Leute an sich sind widerlich“, sagte ich. „Aber einzelne Personen ab und zu nicht. Ich habe mich an den Rat als Ganzes gewandt und erklärt, was Arianna gerade im Schilde führt. Ich habe mich an eine Gruppe gewandt und um Hilfe gebeten. Ihr habt gesehen, was dabei herausgekommen ist. Also muss ich als Nächstes mit Individuen reden.“
    „Mit wem genau?“, erkundigte sich Susan leise.
    „Mit Leuten, die helfen können.“
    Ich fühlte den Blick ihrer dunklen Augen auf mir ruhen, nachdenklich, verständnisvoll. „Wenn ich mich recht erinnere, sind ein paar von denen nicht besonders nett.“
    „Nur sehr wenige sind nett, wenn man es genau nimmt.“
    Susan schluckte vernehmlich. „Ich will nicht, dass du dich in Gefahr begibst. Du hast diese Situation nicht verschuldet, du kannst nichts dafür. Wenn hier jemand einen Preis zahlen muss, dann ich.“
    „So läuft das nicht“, seufzte ich müde.
    „Er hat recht“, meldete sich Martin vom Sofa aus. „Nehmen wir ein Beispiel: Du hast dafür bezahlt, dass er dich nicht von deinen Recherchen über den Roten Hof abhalten konnte.“
    „Das war meine eigene Entscheidung“, sagte Susan.
    „Aber keine fundierte“, sagte ich leise. „Du hattest nicht genügend Informationen, also hast du Schlüsse gezogen, die du nicht hättest ziehen dürfen. Ich hätte dir die fehlenden Informationen geben müssen, aber das habe ich nicht. Was nicht an dir lag: Du hattest die Situation nicht ausgelöst.“
    Susan schüttelte resigniert den Kopf: „Wahrscheinlich habt ihr recht, was bringt uns ein Streit darüber, wer wofür die Schuld trägt.“
    Martin schob einen dünnen, mit einem Lappen umwickelten Stab in den Lauf seines Schießeisens. „Konzentrier dich auf deine eigentliche Aufgabe“, mahnte er, was mir verdächtig nach oft wiederholtem Mantra klang.
    „Wir konzentrieren uns auf unsere eigentliche Aufgabe“, nickte Susan. „Wo fangen wir an, Harry?“
    „Nicht wir“, antwortete ich, „ich fange an. Im Labor. Ihr bleibt hier und passt auf, ob Ärger aufzieht. Sagt rechtzeitig Bescheid, wenn welcher naht, ja?“
    „Wenn welcher naht?“ Susan legte den Kopf schräg. „Nicht