Wandel

Zauberkunst bedeuten. Das Ende der Gesetze der Magie. Es könnte uns ins Chaos früherer Zeiten zurückwerfen, eine frische Welle aus hexergesteuerten Monstern und falschen Halbgöttern hervorbringen, die über die Menschheit herfallen.“
    „Ich fühle mich ja aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen immer wohler, wenn ich unter diesem Schwert sitze, Sir. Muss an der jahrelangen Übung liegen.“
    Ebenezar verzog das Gesicht. „Hoss …“
    „Ich brauche Informationen, Sir“, unterbrach ich ihn mit harter Stimme. „Irgendwo da draußen ist ein Mädchen. Irgendjemand wird etwas darüber wissen, wird mir verraten können, wo sie ist. Ich weiß, der Rat könnte etwas ausbuddeln. Der Weiße Rat hat mir die Tür vor der Nase zugeschlagen.“ Ich reckte das Kinn. „Was ist mit dem Grauen Rat?“
    Ebenezar seufzte. Sein abgespanntes Gesicht wirkte womöglich noch erschöpfter. „Was du tust, ist gut und richtig. Aber schlau ist es nicht, und es geht um eine Lektion, die du noch nicht gelernt hast.“
    „Was für eine Lektion sollte das denn sein?“
    „Manchmal …“ Ebenezars Stimme klang sehr sanft. „Manchmal verliert man. Manchmal verschlingt das Dunkel jeden. Manchmal entkommt das Monster, um eines neuen Tages erneut zu morden.“ Kopfschüttelnd sah er zu Boden. „Manchmal, Hoss, sterben unschuldige Kinder, und es gibt nichts, es gibt verdammt noch mal gar nichts, was du daran ändern könntest.“
    „Sie einfach so sterben lassen?“, zischte ich. „Sie wollen, ich soll sie einfach so sterben lassen?“
    „Ich will, dass du hilfst, Millionen kleiner Mädchen und Jungen zu retten“, sagte er gar nicht mehr sanft, im Gegenteil: Seine Stimme war zu einem stahlharten Knurren geworden. „Dass du sie nicht um eines einzigen Kindes wegen wegwirfst.“
    „Ich werde diese Sache nicht auf sich beruhen lassen!“, fuhr ich ihn an. „Sie ist …“
    Eine rasche Bewegung von Ebenezars rechter Hand, und mein Kehlkopf stellte die Arbeit ein. Meine Lippen bewegten sich, einatmen ging, ausatmen auch – aber ich konnte nicht sprechen.
    In den Augen meines alten Mentors blitzte der Zorn – so kannte ich ihn noch gar nicht. „Verdammt, Junge, du bist doch klug, du weißt, worum es geht. Siehst du nicht, worauf deine Einmischung hinausläuft? Du lieferst Arianna, was sie will, sie zieht an den Fäden, und du tanzt wie ein Püppchen. Du reagierst haargenau so, wie sie es geplant hat, und auf diese Weise wirst du unweigerlich ums Leben kommen!“
    „Ich habe dir schon vor langer, langer Zeit erklärt“, fuhr er, immer noch mit blitzendem Zorn im Blick, fort, „Magier zu sein bedeutet, Opfer zu bringen. Es bedeutet, Dinge zu wissen, die sonst niemand weiß. Ich habe dir erklärt, dass du als Magier möglicherweise einmal auf der Grundlage deines Wissens handeln musst, auch wenn die ganze Welt gegen dich steht. Oder dass du möglicherweise furchtbare, aber unumgängliche Dinge tun musst. Erinnerst du dich daran?“
    Ja, und wie ich mich erinnerte. Ich erinnerte mich sogar noch an den Geruch des Lagerfeuers, an dem wir damals gesessen hatten. Ich nickte.
    „Jetzt wirst du herausfinden, wer du bist.“ Ebenezars Stimme klang rau und seltsam ausdruckslos. „Es gibt viel zu tun und wenig Zeit. Vor allem keine Zeit, sich um Dinge zu streiten, die du eigentlich wissen müsstest.“ Er schloss die Augen und holte tief Luft, als hätte er sich nur mühsam unter Kontrolle. „Wir treffen uns in zwölf Stunden im geheimen Unterschlupf in Toronto.“ Letzteres war ein Befehl. Ebenezar erteilte ihn mit der Stimme der uneingeschränkten Autorität, so hatte er höchstens vier oder fünf Mal in meinem Leben mit mir gesprochen. Er erwartete Gehorsam.
    Ich wandte den Kopf ab. Am Rande meines Gesichtsfelds sah ich meinen alten Mentor wütend das Gesicht verziehen, die Hand ausstrecken, seinen schwarzen Stein aufheben – und plötzlich saß ich wieder eindeutig auf dem Boden meines Labors.
    Müde hob ich meinen eigenen Sendestein auf, steckte ihn in die Tasche. Dann ließ ich mich auf den Rücken fallen, wodurch ich den Kreis brach, und starrte eine Weile an die Decke. Eine kleine Kopfbewegung nach links, und mein Blick fiel auf den dicken grünen Ordner, in dem ich sämtliche Infos über die Wesen gesammelt hatte, die ich aus dem Niemalsland herbeirufen konnte.
    Nein.
    Ich drehte den Kopf in die andere Richtung. Wer Wesen herbeirief, um an Informationen zu kommen, musste den Preis bezahlen, den diese Wesen verlangten. Das war