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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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war er frei, von der der Heuchelei. Ganz ein Kind des vorigen Jahrhunderts, in dessen Aufklärungsjahrzehnte seine Jugend fiel, war er voll Haß gegen die Kirche und voll Spott gegen ihre Diener. Das Letzte der ganzen Scene war ein Akt des Heroismus: Die Wustrauer Bauern nämlich, ohne sich mit der vom Mittelalter überkommenen Citrone bewehrt zu haben, traten heran, luden den Sarg auf ihre Schultern und trugen ihn bis zu der Begräbnißstätte, die der Alte sich sorglich vorher bereitet hatte.
    Gesang und Gebet. Dann aber war alles beflissen – denn jeder sehnte sich nach Imbiß und Stärkung – vom Kirchhofe wieder nach dem Schlosse zurückzukehren, indessen mit den Portraits der ehemaligen Offiziere des Zietenschen Husarenregiments geschmückten großen Saal man mittlerweile Tische gestellt und die Tafel gedeckt hatte, gedeckt mit einem Gefühl für Repräsentation, ja mit einer Opulenz, die diese Räume seit länger als einem halben Jahrhundert nicht mehr gesehen hatten. Diese Opulenz entsprach denn auch der Bravour-Angriff auf die Flaschen-Batterie, der einige der Jüngeren, bei der eminenten und fortgesetzten Energie des Angriffs, zu erliegen drohten.
    Und jetzt war es denn auch, daß von draußen her der Ruf in den Saal drang, ›wir haben auch Hunger‹, – ein immer lauter werdender Schrei, der von den vielen Hunderten ausging, die nicht eigentlich zu den Geladenen zählten, inzwischen aber auf dem Rasenplatz vor dem Schloß und besonders auf der Rampe desselben Aufstellung genommen hatten. Es wurden aufrichtig gemeinte Versuche gemacht, das von außen her um Brot schreiende Volk zu befriedigen, aber die besten Anstrengungen erlahmten an der Menge derer, die forderten, und so kam es denn, daß, eh es möglich war, es zu hindern (auch fehlte wohl, weil man kein Ärgernis geben wollte, der Wille dazu) die draußen versammelte Menge von der Rampe her in das Schloß einbrach und durch einen feinen Instinkt, vielleicht auch durch die Lokalkenntniß eines Einzelnen geleitet, ihren Weg in den über Erwarten leidlich ausgestatteten Weinkeller nahm. Nun war dieser Keller sicherlich nicht die Stätte nennenswerter Chateau-Weine, das lange Lagern indeß, zu dem die wirthschaftlichen Normen des Alten die reichste Gelegenheit geboten hatten, hatte zur Aufbesserung wenigstens das Möglichste gethan und immerhin etwas Trinkbares hergestellt. Was nicht an Ort und Stelle ausgetrunken wurde, nahm man in Park und Garten mit hinauf und als die letzte Flasche leer war, begann ein Singen und ein allgemeines Verlangen nach den Dorfmusikanten, die glücklicherweise nicht kamen und den Begräbnißtag des letzten Wustrauer Zieten davor bewahrten, in einem bal champêtre sein Ende zu finden. Endlich erschienen aus der Stadt herbeigerufene Polizei-Sergeanten und räumten den Park, denselben Park, den der Alte (die beste That seines Lebens) mit so viel Liebenswürdigkeit durch zwei Menschenalter hin zur Verfügung des Ruppiner Volkes gestellt hatte. Mit Kraftliedern und Zechgelagen war ihm heute der ›Dank des Volkes‹ dafür abgestattet worden.«
     
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    So der Teil des Alexander Gentzschen Manuskripts, der sich mit den Personen und Zuständen einer um mehr als dreißig Jahre zurückliegenden Epoche beschäftigt.
    Alle die genannt wurden, sind längst vom Schauplatz abgetreten, vielfach auch schon wieder ihre Kinder. Trotzdem wird es nicht ausbleiben, daß sich einzelne durch gegen den Vater oder Großvater gerichtete Spöttereien unangenehm berührt fühlen. Auch das über den alten Grafen Zieten Gesagte wird einer Beanstandung in einzelnen Gesellschaftskreisen nicht entgehn. Allen aber möchte ich aus einer langen literarischen Erfahrung zurufen dürfen: wer solche Quellen aus Familienrücksichten absperren will, der steht nicht bloß der historischen Forschung (zu deren vorzüglichsten Objekten auch das Studium des Kleinlebens gehört), sondern vor allem auch sich selbst und den Seinen im Lichte. Das protestantische Volk verlangt keine Heiligen, eher das Gegenteil; es verlangt Menschen 89 , und alle seine Lieblingsfiguren: Friedrich Wilhelm I., der große König, Seydlitz, Blücher, York, Wrangel, Prinz Friedrich Karl, Bismarck sind nach einer bestimmten Seite hin, und oft nach mehr als einer Seite hin, sehr angreifbar gewesen. Der Hinweis auf ihre schwachen Punkte hat aber noch keinem von ihnen geschadet. Gestalten wie Moltke bilden ganz und gar die Ausnahme, weshalb auch die Moltkebegeisterung vorwiegend eine

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