Wanderungen durch die Mark Brandenburg 4. Spreeland.: Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow
hinausging und ihnen bundesfreundlich die Hand schüttelte. Nur zu ihrem Führer, dem neuen Kronprinzen von Schweden, wollte bei den Berlinern ein rechtes Vertrauen nicht Wurzel fassen, weil man sich seiner noch zu gut als Bernadotte erinnerte, der früher kein Preußenfreund gewesen war. Außer den Schweden waren auch die Russen bei der Hand, von denen wir aber meistens nur das langspießige Volk der Kosaken zu sehen bekamen.
Am 21. August gab man im Königlichen Schauspielhause Kapellmeister Himmels »Fanchon«. Das Haus war voll, wie man sich denn überhaupt an allen öffentlichen Orten zusammendrängte, bloß um Neuigkeiten zu hören. Der korpulente Kapellmeister stand dirigierend an seinem Pult, und als Gern (der Vater) in der Rolle des Abbé das Lied »Auf alle Namenstag im Jahr« anzustimmen begann und zuletzt auch zu dem auf die verewigte Königin Luise bezüglichen Couplet kam, erscholl ein donnernder Jubel im ganzen Hause. Himmels rotes Angesicht glühte vor Erregung. »Tusch, Tusch!« rief er dem Orchester zu, die Trompeten schmetterten, und die Vivats wollten kein Ende nehmen.
Als ich das Theater verließ, begegnete ich draußen einer ähnlichen Exaltation: Truppen marschierten dem Halleschen Tore zu, von Bürgern unter fortwährendem Hurrarufe begleitet.
Am folgenden Tage wurd uns das unmittelbare Bevorstehn einer Schlacht so gut wie zur Gewißheit: die Truppenmärsche steigerten sich, und im schwedischen Lager sah man die Vorbereitungen zum Aufbruch. Am Abend war ich, wie herkömmlich, wieder im Theater, aber ich konnte nicht recht in Stimmung kommen und noch weniger lachen, trotzdem Wurm, unser erster Komiker damals, den Rochus Pumpernickel spielte. Iffland hatte klüglich immer nur lustige Stücke aufs Repertoire gesetzt, »um die Stimmung zu paralysieren«.
Recht gut erinnere ich mich noch, daß ich in der Nacht, »die der Großbeerener Aktion vorherging«, nur sehr wenig und sehr schlecht geschlafen habe.
Schon in aller Morgenfrühe des 23. stand ich auf; aber ein grauer Regenwolkenhimmel war nicht geeignet, eine heitere Stimmung in mir hervorzurufen.
Um neun wurde mir's endlich »zu eng im Schloß«, und ich ging die Leipziger Straße hinunter auf den Tiergarten und die Bellevuestraße zu, wo Gubitz in einer Giebelstube des Georgeschen Kaffeegartens oder »bei Georges«, wie die Berliner kurzweg sagten, eine kleine Wohnung hatte. Glücklicherweise traf ich ihn noch zu Haus, und wir machten nunmehr einen langen, langen Spaziergang, der uns auf einem Umweg endlich bis Unter die Linden führte. In dem Hause No. 46, jetzt »Viktoria-Hotel«, wohnte Freund Himmel eine Treppe hoch, zwei Treppen hoch der Kammermusikus Seidler (der spätere Gatte der berühmten Sängerin) und in der dritten der dünne Labes, der Komiker vom Hoftheater. Einigermaßen müde, wie wir waren, beschlossen wir, bei Himmel vorzusprechen, und fanden ihn denn auch mit Seidler und Labes beim Rheinwein, den der lebenslustige Kapellmeister außerordentlich liebte. Himmel war wie gewöhnlich in exaltierter Stimmung, zu der der Wein das Seinige beitrug. Auch hier bildete natürlich die bevorstehende Schlacht das Thema der Unterhaltung, und ehe wir's uns versahen, stürzte der berühmte »Fanchon«-Komponist ins Nebenzimmer und kehrte mit zwei Pistolen zurück. »Diese für den ersten Franzosen, der mir heut ins Zimmer tritt, und diese – für mich.« Beide waren wahrscheinlich nicht geladen, die zweite gewiß nicht. Gleichviel indes, Gubitz versicherte mit Emphase: »wir würden siegen, ja sein Glaube daran sei so fest, daß er gleich eine kleine Festkantate niederschreiben wolle; Himmel solle sie komponieren – sie könne dann am andere Tage schon im Theater gesungen werden«. Und gesagt, getan. Gubitz setzte sich sofort an den Schreibtisch, und in einer halben Stunde war die kleine Dichtung fertig. Aber freilich der , der sie komponieren sollte, war nicht mehr unter den Lebenden oder doch nicht mehr unter den Zurechnungs- und Leistungsfähigen. Er schlief in einem mit einer Tüllgardine verhängten Alkoven seinen Rausch aus und zwang uns dadurch, aus der » Himmlischen Wohnung«, wie seine kleine chambre garnie damals allgemein hieß, in die triviale Wirklichkeit der Straße zurückzukehren.
Es mochte jetzt Mittag sein oder doch nicht viel mehr, und der Weg, den ich einschlug, führte mich am Schauspielhause vorüber. Angeklebte Zettel kündigten an: »Heute zum ersten Male wiederholt: › Die deutsche Hausfrau ‹, Drama in
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