Wanderungen Durch Die Mark Brandenburg: Band 3, Havelland
geheiligter, reiner dastand als zu irgendeiner anderen Epoche kirchlichen Lebens. Auch jetzt noch setze ich Zweifel in die volle Echtheit und Glaubwürdigkeit der Überlieferung und neige mich mehr der Ansicht zu, daß wir es hier mit einer im Laufe der Zeit, je nach dem Bedürfnis der Erzähler und Hörer, mannigfach gemodelten Sage zu tun haben, der, namentlich im fünfzehnten Jahrhundert, wo der Verfall des Mönchstums längst begonnen hatte, ein Liebesabenteuer oder doch der Verdacht eines solchen, statt des ursprünglichen Motivs, nämlich des Racenhasses , untergeschoben wurde.
Soweit meine Zweifel.
Auf der andern Seite deutet freilich (von der Backtrogepisode und andern nebensächlichen Zügen abgesehn) alles auf ein Faktum hin, das in seinem ganzen äußerlichen Verlauf, durch fast 700 Jahre, mit großer Treue überliefert worden ist. Eine Menge kleiner Züge vereinigen sich, um es mindestens höchst glaubhaft zu machen, daß Siboldus der erste Abt war, daß er wirklich von den Wenden erschlagen wurde, daß sein Eintritt in ein Nahmitzer Fischerhaus das Signal zum Aufstande gab und daß er, auf der Flucht einen Baum erkletternd, auf diesem Baume sein Versteck und endlich unter demselben seinen Tod fand. Die Überlieferungen nun, die sich sämtlich auf diese Punkte hin vereinigen, sind folgende:
Im Querschiff der Lehniner Kirche hängt bis diesen Tag ein altes Bild von etwa drei Fuß Höhe und fünf Fuß Länge, auf dem wir in zwei Längsschichten oben die Ermordung des Abtes, unten den Auszug der Mönche und die Erscheinung der Jungfrau Maria dargestellt finden. Vor dem Munde der Maria schwebt der bekannte weiße Zettel, auf dem wir die schon oben zitierten Worte lesen: »Redeatis, nihil deerit vobis.« Rechts in der Ecke des Bildes bemerken wir eine zweite lateinische, längere Inschrift, die da lautet:
Anno milleno centeno bis minus uno
Sub patre Roberto coepit Cistertius ordo.
Annus millenus centenus et octuagenus
Quando fuit Christi, Lenyn, fundata fuisti
Sub patre Seboldo, quam Marchio contulit Otto
Brandenburgensis; Aprilis erat quoque mensis.
Hie iacet ille bonus marchravius Otto, patronus
Huius ecclesiae. Sit, precor, in requie.
Hic iacet occisus prior abbas, cui paradisus
Iure patet, slavica quem stravit gens inimica.
Zu deutsch etwa: Im Jahre 1098 begann, unter dem Pater Robert, der Zisterzienserorden. Als das Jahr Christi 1180 war, bist du, Lehnin, gegründet worden unter dem Pater Seboldus, welches der Markgraf Otto von Brandenburg dotiert hat; es war auch der Monat April. Hier ruhet jener gute Markgraf Otto, der Schützer dieser Kirche. Er möge in Frieden schlafen. Hier ruht auch der erste, gemordete Abt, dem das Paradies mit Recht offensteht, den das feindselig gesinnte Slawenvolk ermordet hat.
Diese Inschrift ist die Hauptsache, besonders durch die Form ihrer Buchstaben. Das Bild selbst nämlich ist eine Pinselei, wie sie von ungeschickten Händen in jedem Jahrhundert (auch jetzt noch) gemalt werden kann, die Inschrift aber gehört einem ganz bestimmten Jahrhundert an. Der Form der Buchstaben nach ist das Bild zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts gemalt, und so ersehen wir denn mit ziemlicher Gewißheit aus diesem Bilde, wie man sich etwa ums Jahr 1400, oder wenig später, im Kloster selbst die Ermordung des Abtes Sibold vorstellte. 200 Jahre nach seinem Tode konnte diese Tradition, zumal bei den Mönchen selbst, durchaus noch lebendig und zuverlässig sein. Die Sagen unterstützen den Inhalt dieses Bildes bis diesen Tag.
Ich sprach eingangs schon von einem Stücklein Poesie, das mit dem Tode des Abtes verknüpft sei, und diese poetische Seite ist wirklich da. Aber sie zeigt sich viel mehr in den gespenstigen Folgen der Untat als in dieser selbst.
In dem mehrgenannten Dorfe Nahmitz bezeichnet die Überlieferung auch heut noch das Gehöft, in das damals der Abt eintrat. Das Haus selbst hat natürlich längst einem anderen Platz gemacht, doch ist ein Unsegen an der Stelle haftengeblieben. Die Besitzer wechseln, und mit ihnen wechselt die Gestalt des Mißgeschicks. Aber das Mißgeschick selber bleibt. Das Feuer verzehrt die vollen Scheunen, böse Leidenschaften nehmen den Frieden, oder der Tod nimmt das liebste Kind. So wechseln die Geschicke des Hauses. Jetzt ist Siechtum heimisch darin. Die Menschen trocknen aus, und blut- und farblos, jeder Freude bar, gehen sie matt und müd ihrer Arbeit nach.
Und wie die Tradition im Dorfe Nahmitz das Haus bezeichnet, so bezeichnet sie auch in
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