Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Ord-
nung. Ja, die davon Betroffenen sahen es selbst der-
artig an und versagten ihren Vorgesetzten keines-
wegs ein gewisses Maß von Zuneigung, wenn sich
nur Gerechtigkeit mit der Strenge paarte.
In der Tat, unsre nachträgliche Verurteilung all die-
ser Dinge trifft nicht voll das Richtige, und um so
weniger, wenn wir im Auge behalten, aus welchen
Elementen sich die damalige Armee zwar nicht aus-
schließlich, aber doch zu sehr erheblichem Teile zu-
sammensetzte: rohe Gesellen, die nicht eins der Zehn Gebote hielten, verlorene Söhne, deren Moral
so weit reichte wie ihre Furcht, und Ausländer, die zu
allem andern auch noch das Gefühl gesellten: was
uns umgibt, sind Fremde oder Feinde.
Ein Vorkommnis, das Heydemann erzählt, ist höchst
charakteristisch für die Naturwüchsigkeit damaliger
Zustände. Man führte Schäferspiele auf und schrieb
Idyllen2), aber man war weder nervös noch sentimen-
tal. Die Geschichte selbst aber ist die folgende.
Ein Soldat, ein heftiger, leicht aufbrausender
Mensch, bewarb sich um die Gunst eines Mädchens,
das in der Offizierküche diente. Sie lehnte seine An-
träge, die ehrlich gemeint waren, ab. Eines Tages,
als sie vom Bäcker gegenüber den für den Offizier-
tisch bestimmten Braten holte, trat der Soldat mitten
auf dem Damm an sie heran und fragte: ob sie noch
nicht entschlossen sei, ihn zu heiraten. »Nein.« Im
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selben Augenblick empfing sie einen Messerstich in
den Hals. Sie ließ (auch charakteristisch) den Braten
nicht fallen, schritt vielmehr weiter, setzte die
Schüssel auf den Tisch und sank dann ohnmächtig zu
Boden. Die Wunde war nicht tödlich, aber der Soldat,
der sich inzwischen auf der Wache selbst gemeldet
hatte, mußte auf Tod und Leben laufen. Er überwand
die furchtbare Strafe und diente weiter, während das
Mädchen nach Potsdam hin übersiedelte. Ebendahin
kam auch der Soldat; ein Zufall fügte es so. Hier nun
erneuerten beide ihre Bekanntschaft, Mordversuch
und Gassenlaufen waren vergessen, und vor dem
Altar der Garnisonkirche besiegelten sie den Bund
ihrer Herzen.
Die Hauptvorkommnisse des Ruppiner wie jedes da-
maligen Garnisonlebens waren die Desertionen . Die ganze Bevölkerung, auch die der Nachbardörfer,
wurde dabei in Mitleidenschaft gezogen. Ruppin er-
wies sich für etwaige Fluchtversuche sehr günstig, da
mehrere mecklenburgische Gebietsteile derartig ein-
gesprenkelt im Preußischen lagen und noch liegen,
daß der Weg bis beispielsweise zur Enklave Netze-
band hin kaum zwei Meilen betrug. Netzeband war
gleichbedeutend mit Freiheit. In vielen hundert, um
nicht zu sagen tausend Herzen hat sich damals alles
Denken und Wünschen um die Frage gedreht: Werd
ich Netzeband erreichen oder nicht? Und alles, was
sich nur ersinnen ließ, um das Desertieren unmöglich
zu machen, ward infolge davon angewandt. Das
Hauptmittel hieß Verheiratung. Der Arm der Frau
hielt fester als der Arm des Gesetzes. Aber nicht je-
der wollte heiraten. Da galt es denn andere Sicher-
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heitsmaßregeln ausfindig zu machen. Nicht nur
durchstreiften Patrouillen die Stadt während der
Nacht, sondern auch Unteroffiziere gingen von Haus
zu Haus und riefen die in Bürgerquartier liegenden
Soldaten an, um sich zu überzeugen, daß sie noch da
seien. Wurd aus diesem oder jenem Grunde dem
Anruf nicht geantwortet, so blieb nichts anderes üb-
rig, als den Wirt zu wecken und an die einzelnen
Schlafstellen heranzutreten. Erwiesen sich aber all
diese Mittel umsonst und war es dem einen oder an-
dern nichtsdestoweniger gelungen zu entkommen, so
ward eine Kanone, die draußen am Wall stand, meh-
rere Male abgefeuert. Man konnte die Schüsse in
Katerbow, einem dicht vor Netzeband gelegenen
preußischen Dorfe, hören. Was Friedrich der Große von ganz Preußen gesagt hat, »es müsse immer en
vedette sein«, das galt doppelt und dreifach von Ka-
terbow. An Katerbow hing viel. Es war für den
Flüchtling die »letzte Gefahr«, und erst wenn er die-se glücklich hinter sich hatte, war er frei. In Ruppin selbst aber ließ man es nicht bei den Alarmschüssen
bewenden, die Deserteurglocke auf der Klosterkirche
wurde geläutet, und entdeckte man die Stelle, wo
der Entronnene über die Mauer gestiegen war, so
verfielen die beiden zunächst stehenden Schildwa-
chen ebenfalls der Strafe des Gassenlaufens.
Ums Gassenlaufen – fast noch über das Desertieren
hinaus – drehte sich ein gut Teil des
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