Wanderungen durch die Mark Brandenburg
triumphiert.
Auch die »Historie« ist leisen Fußes durch diese Ge-
genden hingeschritten und erzählt von Kronprinz
Fritz und seiner Liebe zum schönen Försterkinde von
Binenwalde. Von Rheinsberg aus herüberkommend,
gab er im Abenddämmer das wohlbekannte Zeichen
nach dem mitten im See gelegenen Forsthaus hin-
über, und nicht lange, so glitt ein Kahn aus dem
Schilfgürtel hervor und der Stelle zu, wo der Prinz,
unter den Zweigen einer überhängenden Buche, die
schöne Sabine, das »Insel- und Försterkind«, erwar-
tete. Die schöne Sabine aber stand lächelnd aufrecht
im Kahn, das Ruder mit raschem Schlage führend,
bis im nächsten Moment das Ruder ans Land und sie
selbst dem Harrenden in die Arme flog.
Aber diese Tage sind hin, und wie tiefe Sonntagsruhe
liegt es in den Lüften, wenn, wie zu dieser Mittags-
stunde, die nachbarliche Mühle schweigt.
Ausgestreckt am Hügelabhang, den Wald zu Häup-
ten, den See zu Füßen, so träumst du hier, bis die
wachsende Stille dich erschreckt. Mit angespannten
Sinnen lauschest du, ob nicht doch vielleicht ein Laut
zu dir herüberklinge, und endlich hörst du die Rät-
selmusik der Einsamkeit. Der See liegt glatt und
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sonnenbeschienen vor dir, aber es ruft aus ihm, die
Bäume rühren sich nicht, aber es zieht durch sie hin,
aus dem Walde klingt es, als würden Geigen gestri-
chen, und nun schweigt es, und ein fernes, fernes
Läuten beginnt. Ist es Täuschung, oder ist es mehr?
Ein wachsendes Bangen kommt über dich, bis plötz-
lich das Klappern der Mühle wieder anhebt und der
schrille Ton der Säge den Mittagszauber zerreißt.
Wer will sagen, wenn er die Ruppiner Schweiz
durchwandert, wo ihr Zauber am mächtigsten wirkt.
Und fragst du doch : »Den vollsten Reiz, Wo birgt ihn die Ruppiner Schweiz?
Ist's norderwärts in Rheinsbergs Näh?
Ist's süderwärts am Molchow-See?
Ist's Rottstiel tief im Grunde kühl?
Ist' Kunsterspring, ist's Boltenmühl?
Ist's Boltenmühl, ist's Kunsterspring?
Birgt Pfefferteich den Zauberring?
Ist's Binenwalde?« – Nein, o nein,
Wohin du kommst, da wird es sein,
An jeder Stelle gleichen Reiz
Erschließt dir die Ruppiner Schweiz.
Am Molchow- und Zermützel-See
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Abgeschieden, rings geschlossen,
Wenig kümmerliche Föhren,
Trübe flüsternde Genossen,
Die hier keinen Vogel hören.
Lenau
»An jeder Stelle gleichen Reiz
Erschließt dir die Ruppiner Schweiz«,
aber doch mit der einen Einschränkung, daß wir uns in der Helvetia propria dieser Gegenden halten und
es vermeiden, von dem westlichen Ufer des Rhin auf das östliche hinüberzutreten. Tuen wir diesen verhängnisvollen Schritt dennoch, so sind wir aus unse-
rer eigentlichen Schweiz heraus und wandeln nur
noch an ihrer Peripherie hin. Mit andern Worten: das
östliche Rhinufer hat keinen andern Reiz mehr als
den , welchen es seinem Gegenüber, dem westlichen Ufer, entnimmt.
Aber Ausnahmen auch hier, und unter diesen Aus-
nahmen in erster Reihe das alte Dorf Molchow, das
wir, über eine Schmalung des gleichnamigen Sees
hinweg, in diesem Augenblick erreichen. Eingespon-
nen in Gärten und Laub liegt es da, die Studenten-
blume blüht, der Kürbis hängt am Gezweig, und der
Hahn begrüßt uns vom Zaun her und kräht in den
lachenden Morgen hinein. Alles hell und licht, im
rechten Gegensatze zu Molchow , das mit seinem
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finster anklingenden Namen an alle Schrecken des
Schillerschen »Tauchers« mahnt.
Alles hell und licht, ausgenommen ein rondellartiger
Grasplatz inmitten des Dorfs. Auf ihm wird begraben,
mehr in Unkraut als in Blumen hinein, und aus der
Mitte dieses Platzes wächst ein Turm auf, unheimlich
und grotesk, als hab ihn ein Schilderhaus mit einer
alten Windmühle gezeugt. Von beiden etwas. Und
unheimlich wie der Turm, so auch die alte Glocke , die in ihm hängt. »Ave Maria, gratia plena« steht an
dem obern Rande, die Glocke selbst aber ist gebors-
ten, und ihre Inschrift war ihr kein Talisman. Zwei-
hundert Jahre, da fanden sie die Molchower auf einer
halb Heide gewordenen, halb waldbestandenen
Feldmark zwischen zwei Bäumen aufgehängt. Es war
die Glocke von Eggersdorf, eines Dorfes, das im
Dreißigjährigen Kriege, wie hundert andere, wüst
geworden war und es seitdem auch geblieben ist. Die
Molchower aber erbarmten sich des Findlings und
bauten ihm diesen Glockenturm. Eine Leiter führt
hinauf, die glücklicherweise von denen, die dort oben
regelmäßig wohnen, entbehrt
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