Wanderungen durch die Mark Brandenburg
erklären, daß für diese vierte Frau kein
Platz mehr im Erbbegräbnis sei«. Dies war
denn doch zuviel, und Georg Moritz erschien
schon am nächsten Tage mit drei Wagen in
Tramnitz, um die Särge seiner drei Frauen
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aus dem ungastlichen Erbbegräbnis abzuho-
len. Er begrub sie nunmehr auf dem Trieplat-
zer Kirchhof.
Der Akazienbaum
Dem Hauptmann von Kapernaum waren aus seiner
zweiten Ehe mit dem Fräulein von Jürgaß zwei Söhne
geboren worden, von denen der jüngere den Namen
des Vaters, Georg Moritz, führte. Der ältere dagegen
war Otto von Rohr. Sein Gedächtnis lebt in Trieplatz
in einem schönen Akazienbaume fort, der vom Park aus in das Gartenzimmer blickt.
Otto von Rohr war 1763 geboren. Er trat früh in ein
Infanterieregiment und stand 1792, als der Krieg
gegen Frankreich ausbrach, beim Grenadierbataillon
von Kalckstein. Über die Charge, die er bekleidete,
verlautet nichts Bestimmtes; wahrscheinlich war er
Stabscapitain. 1793 nahm er teil an der Rheincam-
pagne und gehörte jenem Heeresteile zu, der im
Spätherbste genannten Jahres unter dem Herzoge
von Braunschweig gegen den General Hoche kämpf-
te. Hoche wurde den 17. November bei Blieskastel
geworfen und am 28., 29. und 30. in der dreitägigen
Schlacht bei Kaiserslautern geschlagen. Unter denen,
die preußischerseits dieses schönen Sieges wenig
froh werden konnten, befand sich auch Otto von
Rohr, der gleich am ersten Tage, den 28., als er mit
seinem Grenadierbataillon aus einer Waldecke vor-
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brach, in Gefangenschaft geraten war. Diensteifer
und Herzensgüte trugen die Schuld daran. Schon war
ihm der Rückzug durch einen Hohlweg geglückt, als
er noch sieben seiner Leute, die das Signal überhört
haben mußten, jenseit des Défilés im eifrigsten
Scharmützeln mit dem nachdrängenden Feinde sah.
Er eilte zurück, um sie zu retten, wurd aber dabei
von einem Haufen Volontairs gefangengenommen,
die mittlerweile den Hohlweg besetzt hatten.
Die »Volontairs« von damals waren den »Francti-
reurs« von heute sehr ähnlich. Otto von Rohr hat
seine Schicksale während der nächsten fünf Tage in
ebenso vielen, mir zur Benutzung vorliegenden Brie-
fen aufgezeichnet, Aufzeichnungen, aus denen ich
ersehen konnte, wie wenig achtzig Jahre jenseits der
Vogesen geändert haben. Alles liest sich wie Erleb-
nisse von heut oder gestern. Im Guten und Schlech-
ten, in Liebenswürdigkeit und Frivolität, in Artigkeit
und Frechheit ist der nationale Charakter derselbe
geblieben.
»28. November 1793 . Drei oder vier Volontairs nahmen mich gefangen, zwölf oder mehr aber waren es,
die mich zurückführten. Ich mochte zwei Minuten
zwischen meinen Begleitern gegangen sein, als diese
plötzlich einige Schritte hinter mir zurückblieben und
mich allein stehenließen. Die ganze Bande schwatz-
te; zugleich mußt ich wahrnehmen, daß einer von
ihnen das Gewehr anlegte und auf etwa sechs Schritt
nach mir schoß. Der Schuß versagte. Mein Volontair
begann nur zu poltern, schüttete neues Pulver auf
die Pfanne, schärfte den Stein und legte wieder an.
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Mittlerweile war ich von meiner ersten Betäubung
zurückgekommen und hatte die klare Vorstellung
eines unvermeidlichen Todes. Mich wehren, dazu
fehlte mir die Waffe (meinen Degen hatte man mir
abgenommen), mich durch Flucht retten war ganz
unmöglich; ich verteidigte mich also nicht, weil ich
nicht konnte, und stand, weil ich mußte. Ich weiß
nicht mehr, was ich tat, nur das hab ich noch in Erinnerung, daß die ganze Gesellschaft lachte. Auch
der Volontair, der im Anschlage lag, lachte mit. In
diesem Moment, der über mich entscheiden mußte,
trat ein alter Soldat, Sergeant, wie sich später ergab, aus dem Dickicht, schlug dem Buben das Gewehr
nieder und rettete mich dadurch. Die ganze Bande
verlief sich nun, und ich war mit meinem Retter al-
lein. Er hieß Malwing, war ein geborner Elsässer,
hatte den Siebenjährigen und dann den amerikani-
schen Krieg mitgemacht und vermaledeite seine ei-
genen Leute, die er Meuchelmörder nannte. Er hieß
mich guten Mutes sein, führte mich zum komman-
dierenden General Hoche und übergab diesem meine
Person und meine Habseligkeiten. Die letzteren stell-
te mir ein Adjutant des Generals sofort wieder zu.
Hoche selbst unterhielt sich ein wenig mit mir, war
sehr artig und überließ mich dann wiederum der Ob-
hut Malwings. Unter den Gegenständen, die mir zu-
rückgegeben wurden, befand sich auch
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