Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:

    durch meinen blauen Surtout mit weißen Aufschlä-
    gen dazu veranlaßt – für einen Volontair. Als er nun
    aber von seinem Irrtum zurückkam und mich als
    einen preußischen Offizier erkannte, da war er froh,
    ganz wie ich es war, einen Schicksalsgefährten zu
    treffen. Herzlich und gefühlvoll waren seine Äuße-
    rungen; fest war der Bund, den die neuen Bekannten
    schlossen; mir dünkt es ein Freundschaftsbund für
    die ganze Zukunft, für Zeit und Ewigkeit. Auch er
    war durch übereilte Hitze seiner Befehlshaber ins
    Mißgeschick gekommen; im übrigen unverwundet
    wie ich. Er war der erste, der mir sagte, daß das
    Grenadierbataillon von Kalckstein den vorigen Abend
    nah an sechzig Mann verloren habe, daß ich zu den
    Toten gezählt worden und daß außerdem Lieutenant

    689
    von Reitzenstein gefallen und zwei Offiziere blessiert
    seien.
    Abends in der Dämmerung erschien abermals Freund
    Malwing. Er trat ein mit einem: ›À présent tout est
    au diable!‹ Dies hatte zum Teil Bezug auf die mir
    abgenommenen Habseligkeiten. Er hatte sie zusam-
    men in ein Papier gewickelt in seine Rocktasche ge-
    steckt und diese war ihm durch eine preußische Ka-
    nonenkugel weggerissen oder, wie er sich ausdrück-
    te, ›zum Teufel geschickt worden‹. Er hatte dabei
    eine Kontusion davongetragen, weshalb er zurück in
    ein Lazarett gehen mußte. Ich bot ihm, da mir sein
    Verlust leid tat, nochmals meine Schärpe an, aber er
    lehnte nochmals ab und verwies mir meine Unfolg-
    samkeit, sie nicht nach seinem Rate besser versteckt
    zu haben. Dann mahnte er mich zu Geduld und Vor-
    sicht, reichte mir seine Flasche und ging fröhlich und
    guter Dinge ab, mit dem Versprechen, mich wieder
    zu besuchen.
    Und so beschloß sich der zweite Tag meiner Gefan-
    genschaft. Durch tausend Bemerkungen belästigt,
    von Ahnungen und Besorgnissen gequält, dazu von
    der Hoffnung einer baldigen Änderung meines Ge-
    schickes nicht mehr geschmeichelt, setzte ich mich,
    meinem neuen Freunde Wilhelmy gegenüber, auf
    einen Schemel und wünschte mir Schlaf. Doch ihn zu
    finden, daran war nicht zu denken. Die Stube zum
    Ersticken heiß und mit Menschen derart gefüllt daß
    ich schlechterdings meine Füße nicht regen konnte,
    ohne jemanden zu treten. Meine Lage war äußerst
    lästig, und endlich durch die Bewegungslosigkeit, zu

    690
    der sich mein Körper gezwungen sah, dem Erstarren
    nahe, blieb mir kein anderes Mittel, als auf den
    Schemel zu steigen. Hier stand ich wie ein Säulen-
    heiliger. Alles schlief und schnarchte, nur Wilhelmy
    und ich nicht.
    Genug, es war nicht die schmerzhafteste, aber doch
    die peinlichste Nacht meines ganzen Lebens. Endlich
    kam der so lang ersehnte Morgen, und alles regte
    und reckte sich. Ach, wie war ich so froh.
    Den 30. November 1793 . Der Morgen kam und mit
    ihm die Sterbestunde für so manchen, Freund wie
    Feind. Viele fanden ihren Tod gestern schon, viele
    ehegestern, noch mehr fanden ihn heute. Früh mit
    der ersten Morgendämmerung begann die Schlacht
    von neuem; das Feuer der Kanonen war dabei so
    heftig, wie ich es noch nie gehört hatte. Etwa um elf
    war die Bataille völlig zum Vorteil der Preußen ent-
    schieden. Die Franzosen machten indessen, wie be-
    kannt, einen meisterhaften Rückzug, so daß sie trotz
    des schlechten Terrains, auf dem sie sich bewegten,
    keine Kanone verloren. Es kam ihnen dabei freilich
    zustatten, daß unsere Kavallerie ganz entkräftet war.
    Von dem Gewimmel der Zurückkommenden sahen
    wir nur wenig, da auch wir, als die Retirade begann,
    zurück mußten. Wir bildeten nur ein kleines Häuflein:
    Wilhelmy, ich, der Junker und etwa acht Gemeine,
    das war die ganze gefangene Gesellschaft, schließlich
    noch durch sechs oder sieben Deserteure vermehrt.
    Letztere höchst widriges Gesindel. Mit genauer Not
    bekamen wir einige von den erbeuteten Pferden;
    dann, bei jedem Offizier ein Gensdarm, außerdem

    691
    noch zwei, drei zur Eskorte der übrigen, so ging un-
    ser Zug rückwärts auf der Straße nach Homburg zu.
    Ein wahrer Golgathas-Weg für uns arme Sünder.
    Gleich zu Anfang passierten wir einen großen Teil der
    französischen Armee, die auf einer weiten Ebene
    hielt. Hier fanden wir Truppen aller Art, auch das
    Proviantfuhrwesen. Wir kamen leidlich vorüber. Als
    wir aber eine andere Abteilung der geschlagenen
    Armee erreichten, bei der sich viele Hunderte von
    Schwerverwundeten befanden, war es mit unserer
    Ruhe vorbei.
    Ein großer Teil dieser Unglücklichen, als sie

Weitere Kostenlose Bücher