Wanderungen durch die Mark Brandenburg
–
durch meinen blauen Surtout mit weißen Aufschlä-
gen dazu veranlaßt – für einen Volontair. Als er nun
aber von seinem Irrtum zurückkam und mich als
einen preußischen Offizier erkannte, da war er froh,
ganz wie ich es war, einen Schicksalsgefährten zu
treffen. Herzlich und gefühlvoll waren seine Äuße-
rungen; fest war der Bund, den die neuen Bekannten
schlossen; mir dünkt es ein Freundschaftsbund für
die ganze Zukunft, für Zeit und Ewigkeit. Auch er
war durch übereilte Hitze seiner Befehlshaber ins
Mißgeschick gekommen; im übrigen unverwundet
wie ich. Er war der erste, der mir sagte, daß das
Grenadierbataillon von Kalckstein den vorigen Abend
nah an sechzig Mann verloren habe, daß ich zu den
Toten gezählt worden und daß außerdem Lieutenant
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von Reitzenstein gefallen und zwei Offiziere blessiert
seien.
Abends in der Dämmerung erschien abermals Freund
Malwing. Er trat ein mit einem: ›À présent tout est
au diable!‹ Dies hatte zum Teil Bezug auf die mir
abgenommenen Habseligkeiten. Er hatte sie zusam-
men in ein Papier gewickelt in seine Rocktasche ge-
steckt und diese war ihm durch eine preußische Ka-
nonenkugel weggerissen oder, wie er sich ausdrück-
te, ›zum Teufel geschickt worden‹. Er hatte dabei
eine Kontusion davongetragen, weshalb er zurück in
ein Lazarett gehen mußte. Ich bot ihm, da mir sein
Verlust leid tat, nochmals meine Schärpe an, aber er
lehnte nochmals ab und verwies mir meine Unfolg-
samkeit, sie nicht nach seinem Rate besser versteckt
zu haben. Dann mahnte er mich zu Geduld und Vor-
sicht, reichte mir seine Flasche und ging fröhlich und
guter Dinge ab, mit dem Versprechen, mich wieder
zu besuchen.
Und so beschloß sich der zweite Tag meiner Gefan-
genschaft. Durch tausend Bemerkungen belästigt,
von Ahnungen und Besorgnissen gequält, dazu von
der Hoffnung einer baldigen Änderung meines Ge-
schickes nicht mehr geschmeichelt, setzte ich mich,
meinem neuen Freunde Wilhelmy gegenüber, auf
einen Schemel und wünschte mir Schlaf. Doch ihn zu
finden, daran war nicht zu denken. Die Stube zum
Ersticken heiß und mit Menschen derart gefüllt daß
ich schlechterdings meine Füße nicht regen konnte,
ohne jemanden zu treten. Meine Lage war äußerst
lästig, und endlich durch die Bewegungslosigkeit, zu
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der sich mein Körper gezwungen sah, dem Erstarren
nahe, blieb mir kein anderes Mittel, als auf den
Schemel zu steigen. Hier stand ich wie ein Säulen-
heiliger. Alles schlief und schnarchte, nur Wilhelmy
und ich nicht.
Genug, es war nicht die schmerzhafteste, aber doch
die peinlichste Nacht meines ganzen Lebens. Endlich
kam der so lang ersehnte Morgen, und alles regte
und reckte sich. Ach, wie war ich so froh.
Den 30. November 1793 . Der Morgen kam und mit
ihm die Sterbestunde für so manchen, Freund wie
Feind. Viele fanden ihren Tod gestern schon, viele
ehegestern, noch mehr fanden ihn heute. Früh mit
der ersten Morgendämmerung begann die Schlacht
von neuem; das Feuer der Kanonen war dabei so
heftig, wie ich es noch nie gehört hatte. Etwa um elf
war die Bataille völlig zum Vorteil der Preußen ent-
schieden. Die Franzosen machten indessen, wie be-
kannt, einen meisterhaften Rückzug, so daß sie trotz
des schlechten Terrains, auf dem sie sich bewegten,
keine Kanone verloren. Es kam ihnen dabei freilich
zustatten, daß unsere Kavallerie ganz entkräftet war.
Von dem Gewimmel der Zurückkommenden sahen
wir nur wenig, da auch wir, als die Retirade begann,
zurück mußten. Wir bildeten nur ein kleines Häuflein:
Wilhelmy, ich, der Junker und etwa acht Gemeine,
das war die ganze gefangene Gesellschaft, schließlich
noch durch sechs oder sieben Deserteure vermehrt.
Letztere höchst widriges Gesindel. Mit genauer Not
bekamen wir einige von den erbeuteten Pferden;
dann, bei jedem Offizier ein Gensdarm, außerdem
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noch zwei, drei zur Eskorte der übrigen, so ging un-
ser Zug rückwärts auf der Straße nach Homburg zu.
Ein wahrer Golgathas-Weg für uns arme Sünder.
Gleich zu Anfang passierten wir einen großen Teil der
französischen Armee, die auf einer weiten Ebene
hielt. Hier fanden wir Truppen aller Art, auch das
Proviantfuhrwesen. Wir kamen leidlich vorüber. Als
wir aber eine andere Abteilung der geschlagenen
Armee erreichten, bei der sich viele Hunderte von
Schwerverwundeten befanden, war es mit unserer
Ruhe vorbei.
Ein großer Teil dieser Unglücklichen, als sie
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