Wanderungen durch die Mark Brandenburg
uns sa-
hen, gebärdeten sich wie rasend, wetterten und
fluchten und schienen durchaus willens, es bei den
insultierenden Worten nicht bewenden zu lassen.
Mehr als einmal schlug man die Gewehre auf uns an,
und nur der Umstand, daß wir rechts und links
Gensdarmen zur Seite hatten, die bei dieser Gele-
genheit so gut wie wir getroffen werden konnten,
rettete uns aus dieser Gefahr. Die Insulten dauerten
fort, aber nach einer halben Stunde schienen auch
die Lungen erschöpft, und man ward still. Nochmals
eine halbe Stunde später, und wir wurden in einem
Stall untergebracht, wo sich unser Häuflein alsbald
um einen Unglücksgefährten vermehrte. Das Re-
giment Göckingk-Husaren hatte verfolgt, und bei
diesen Verfolgungsscharmützeln war Cornet
Gottschling vom genannten Regiment erst verwundet
und dann gefangengenommen worden. Er hatte ei-
nen Hieb über den Kopf, einen andern über die Hand
und war in sehr bedauernswerter Lage.
692
Der Zug setzte sich endlich wieder in Bewegung.
Neue feindliche Trupps waren zu passieren, da wir
aber auf dem Marsche blieben, so hatten wir weniger
zu leiden; nur der arme Gottschling erhielt einen
Steinwurf.
Gegen Abend rückten wir in ein Dorf ein, das nicht
mehr ferne von Homburg war. Der Führer der Eskor-
te wollte weiter, aber die Mannschaften, die sich an-
geschlossen hatten, wollten bleiben oder wenigstens
eine Rast machen. Der Führer mußte nun gehorchen.
Ein Haus wurde ausgewählt, und wir Offiziere, der
Junker, die Deserteurs und die Gensdarmen kamen
in ein und dieselbe Stube. Die gutmütige Wirtin
schaffte Milch, wir selbst hatten Kommißbrot, und so
wurde denn eine Milchsuppe gekocht, die mir ganz
besonders mundete, da ich, seit jenem Reisfrühstück
in Gesellschaft der Generalität, nichts Warmes mehr
gegessen hatte.
Homburg indessen sollte noch erreicht werden, und
um zehn Uhr abends rückten wir in seine Straßen
ein. Quartiere erhielten wir im Ratskeller, in einem
weitläufigen Gemach, das schon vorher mit vielen
Verwundeten belegt worden war. Uns blieb nur, wie
in der Nacht vorher, ein kleines Plätzchen zum Ste-
hen übrig. Hart an uns vorüber trug oder führte man
die Verstümmelten. Eine Hölle war uns dieser Auf-
enthalt; das war ›gekerkert im Kerker‹. Unbegreiflich
und wunderbar war es uns allen und ist es mir noch
in dieser Stunde, daß nicht einer dieser Unglückli-
chen, wütend, wie sie waren, uns niedermordete
oder doch mißhandelte. Wir erwarteten es jeden Au-
693
genblick, aber es blieb bei Fluch und Verwünschung.
Ein oder anderthalb Stunden mochten wir in diesem
Zustande zugebracht haben, bittend, flehend, daß
man uns aus dieser Hölle des Jammers fortführen
möge. Alles umsonst. Endlich, aufs äußerste empört,
begannen wir selbst zu toben und zu fluchen. Das
half. Man brachte uns in ein Wirtshaus, in dem ein
französischer Artilleriegeneral logierte. Dieser teilte seine Stube mit uns und behandelte uns mit vieler
Artigkeit. Wir ließen uns ein gutes Nachtmahl schme-
cken, legten uns auf Streu oder Stühle und vergaßen
in festem Schlaf die bittern Erlebnisse des letzten
Tages.
Den 1. Dezember 1793 . Morgens beim Erwachen war der General fort; wir haben auch später seinen Namen nicht erfahren können. Unser Frühstück, Kaffee
und Zubehör, stand bereit, wir ließen es uns schme-
cken, und weiter ging es bis Zweibrücken. Hier führ-
te man uns auf den Marktplatz, wo denn alsbald al-
les, was nur Raum finden konnte, sich an uns heran-
drängte. Wir fürchteten ein Dakapo des Spiels vom
vorigen Tage, aber es unterblieb; teils waren hier
keine Blessierten, teils war die erste Wut schon ver-
raucht; zudem befanden wir uns hier zumeist unter
Linientruppen. In ihrem Beisein waren wir in der Re-
gel vor groben Beleidigungen sicher. Jeder von uns
ward von einem ganzen Haufen umzingelt, alles
schwatzte und frug auf uns ein, frug immer von neu-
em und immer etwas anderes, ohne unsere Antwor-
ten abzuwarten. Dabei reichten sie uns Cognac und
Brot, sprachen uns Mut zu und hießen uns guter
Dinge sein. Genug, das Ganze dieser Szene war
694
menschenfreundlich und gutartig, wenn ich einige
Tölpel ausnehme, die grob wurden, weil wir ihnen
kein Gegenprosit mehr zutrinken wollten. Einer, den
ich bat, mich nicht weiter zu nötigen, erklärte laut:
›ich sei ein Emigrierter, er kenne mich‹. Dabei nahm
er mein Pferd beim Zügel und wollte mich zum Rep-
räsentanten
Weitere Kostenlose Bücher