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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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uns sa-
    hen, gebärdeten sich wie rasend, wetterten und
    fluchten und schienen durchaus willens, es bei den
    insultierenden Worten nicht bewenden zu lassen.
    Mehr als einmal schlug man die Gewehre auf uns an,
    und nur der Umstand, daß wir rechts und links
    Gensdarmen zur Seite hatten, die bei dieser Gele-
    genheit so gut wie wir getroffen werden konnten,
    rettete uns aus dieser Gefahr. Die Insulten dauerten
    fort, aber nach einer halben Stunde schienen auch
    die Lungen erschöpft, und man ward still. Nochmals
    eine halbe Stunde später, und wir wurden in einem
    Stall untergebracht, wo sich unser Häuflein alsbald
    um einen Unglücksgefährten vermehrte. Das Re-
    giment Göckingk-Husaren hatte verfolgt, und bei
    diesen Verfolgungsscharmützeln war Cornet
    Gottschling vom genannten Regiment erst verwundet
    und dann gefangengenommen worden. Er hatte ei-
    nen Hieb über den Kopf, einen andern über die Hand
    und war in sehr bedauernswerter Lage.

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    Der Zug setzte sich endlich wieder in Bewegung.
    Neue feindliche Trupps waren zu passieren, da wir
    aber auf dem Marsche blieben, so hatten wir weniger
    zu leiden; nur der arme Gottschling erhielt einen
    Steinwurf.
    Gegen Abend rückten wir in ein Dorf ein, das nicht
    mehr ferne von Homburg war. Der Führer der Eskor-
    te wollte weiter, aber die Mannschaften, die sich an-
    geschlossen hatten, wollten bleiben oder wenigstens
    eine Rast machen. Der Führer mußte nun gehorchen.
    Ein Haus wurde ausgewählt, und wir Offiziere, der
    Junker, die Deserteurs und die Gensdarmen kamen
    in ein und dieselbe Stube. Die gutmütige Wirtin
    schaffte Milch, wir selbst hatten Kommißbrot, und so
    wurde denn eine Milchsuppe gekocht, die mir ganz
    besonders mundete, da ich, seit jenem Reisfrühstück
    in Gesellschaft der Generalität, nichts Warmes mehr
    gegessen hatte.
    Homburg indessen sollte noch erreicht werden, und
    um zehn Uhr abends rückten wir in seine Straßen
    ein. Quartiere erhielten wir im Ratskeller, in einem
    weitläufigen Gemach, das schon vorher mit vielen
    Verwundeten belegt worden war. Uns blieb nur, wie
    in der Nacht vorher, ein kleines Plätzchen zum Ste-
    hen übrig. Hart an uns vorüber trug oder führte man
    die Verstümmelten. Eine Hölle war uns dieser Auf-
    enthalt; das war ›gekerkert im Kerker‹. Unbegreiflich
    und wunderbar war es uns allen und ist es mir noch
    in dieser Stunde, daß nicht einer dieser Unglückli-
    chen, wütend, wie sie waren, uns niedermordete
    oder doch mißhandelte. Wir erwarteten es jeden Au-

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    genblick, aber es blieb bei Fluch und Verwünschung.
    Ein oder anderthalb Stunden mochten wir in diesem
    Zustande zugebracht haben, bittend, flehend, daß
    man uns aus dieser Hölle des Jammers fortführen
    möge. Alles umsonst. Endlich, aufs äußerste empört,
    begannen wir selbst zu toben und zu fluchen. Das
    half. Man brachte uns in ein Wirtshaus, in dem ein
    französischer Artilleriegeneral logierte. Dieser teilte seine Stube mit uns und behandelte uns mit vieler
    Artigkeit. Wir ließen uns ein gutes Nachtmahl schme-
    cken, legten uns auf Streu oder Stühle und vergaßen
    in festem Schlaf die bittern Erlebnisse des letzten
    Tages.
    Den 1. Dezember 1793 . Morgens beim Erwachen war der General fort; wir haben auch später seinen Namen nicht erfahren können. Unser Frühstück, Kaffee
    und Zubehör, stand bereit, wir ließen es uns schme-
    cken, und weiter ging es bis Zweibrücken. Hier führ-
    te man uns auf den Marktplatz, wo denn alsbald al-
    les, was nur Raum finden konnte, sich an uns heran-
    drängte. Wir fürchteten ein Dakapo des Spiels vom
    vorigen Tage, aber es unterblieb; teils waren hier
    keine Blessierten, teils war die erste Wut schon ver-
    raucht; zudem befanden wir uns hier zumeist unter
    Linientruppen. In ihrem Beisein waren wir in der Re-
    gel vor groben Beleidigungen sicher. Jeder von uns
    ward von einem ganzen Haufen umzingelt, alles
    schwatzte und frug auf uns ein, frug immer von neu-
    em und immer etwas anderes, ohne unsere Antwor-
    ten abzuwarten. Dabei reichten sie uns Cognac und
    Brot, sprachen uns Mut zu und hießen uns guter
    Dinge sein. Genug, das Ganze dieser Szene war

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    menschenfreundlich und gutartig, wenn ich einige
    Tölpel ausnehme, die grob wurden, weil wir ihnen
    kein Gegenprosit mehr zutrinken wollten. Einer, den
    ich bat, mich nicht weiter zu nötigen, erklärte laut:
    ›ich sei ein Emigrierter, er kenne mich‹. Dabei nahm
    er mein Pferd beim Zügel und wollte mich zum Rep-
    räsentanten

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