Wanderungen durch die Mark Brandenburg
allerlei Ge-
sellschaft ein: der gute, christliche Kerkermeister,
dessen Ehegespons, einige Gensdarmen, schließlich
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auch einige Offiziere. Man kam und ging, alle waren
voller Mitleid, aber dabei hatte es sein Bewenden.
Im Laufe des Vormittags erschienen: ein Generalad-
jutant namens Bertrand, mehrere junge Leute von
der Adjutantur, endlich auch ein Secretair, um unse-
re Charaktere und Namen aufzunehmen. Alle diese
Herren, besonders sichtbar und auffallend aber der
Erstgenannte (Bertrand), waren äußerst betreten,
uns so gemißhandelt zu finden. Der Umstand, daß
die Zweibrücker Mädchen uns ein Frühstück, und
zwar als ein Almosen, gereicht, dazu auch einen Arzt
uns zugeführt hatten, brachte die Herren vorzugs-
weise in Verlegenheit. Sie waren Zeugen, daß wir
unsere Wohltäterinnen mit einem einfachen ›Gott
vergelt's euch‹ bezahlen mußten. Einige der jungen
Offiziere versuchten auf mancherlei Art, die Sache zu
entschuldigen, doch ging es ihnen damit nur schlecht
vonstatten. Der Umstand, daß man uns in drei Tagen
noch kein Zehrungsgeld, am Nachmittag und Abend
kein Brot und auf die letzte Nacht auch nicht einmal
Wasser, Heizung und Licht zur Genüge gegeben hat-
te, war nicht wohl zu entschuldigen. Alles, was man
für uns getan, war, daß man uns unsere Schärpen
geraubt hatte. Bei Aufzählung aller Unbill, die wir
erfahren, traten mir die Tränen in die Augen. Bert-
rand, als er dessen gewahr wurde, trat zu mir heran
und hatte freundliche Worte für mich. Es tat mir
wohl, und ich vermochte mich wieder zu fassen.
Nachdem man unsere Namen und Charakter aufge-
schrieben, schenkte uns Bertrand unter dem groß-
mütigen Vorwande, ›daß es die rückständige Gage
sei‹, anderthalb Karolin; auch wurde ein Mittagbrot
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für uns besorgt. Ein Bekannter Wilhelmys, ein verab-
schiedeter Soldat, der jetzt in Zweibrücken lebte und
vor einigen Wochen erst als Handelsmann Wein und
andere Lebensmittel ins Lager geliefert hatte, er-
schien ebenfalls. Dieser verschaffte einem jeden von
uns ein Hemd. Infolge davon wurde nun zwar unsere
Kasse so gut wie wieder gesprengt, aber dennoch
erkauften wir die Glückseligkeit des Wäschewech-
selns damit nicht zu teuer.
Gegen Mittag brachen wir aus der Zweibrückener
Armensünderstube auf und kamen um drei Uhr in
Blieskastel an. Man war unschlüssig, wohin mit uns.
Nachdem wir wieder drei viertel Stunden lang auf
freier Straße zur Schau ausgestellt gewesen waren,
brachte man uns endlich in den ›Turm‹. Sergeanten
und Gemeine bekamen den Raum unterm Dach; wir
Offiziere und der Junker aber wurden in die Stube
des Stockmeisters einquartiert. Hier fanden wir be-
reits zehn oder zwölf Geiseln vor, die die französische Armee bei ihrer Retirade aus der umliegenden
Gegend mitgenommen hatte.«
Hier brechen die Briefe ab. Was ich noch zu erzählen
haben werde, steht räumlich in keinem entsprechen-
den Verhältnis zu dem bis hierher Mitgeteilten. Otto
von Rohr samt seinen Leidensgenossen, die wir aus
vorstehenden Briefen kennengelernt, wurde nach
Frankreich abgeführt und in Nogent-sur-Seine, etwa
siebzig Kilometer von Paris, interniert gehalten. Hier
lebte er, ein Jahr lang und darüber, in ungetrübtem
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Glück, soweit das Leben eines Gefangenen über-
haupt ein glückliches sein kann. Die große Zeit störte
nicht seine Kreise. In Paris die Schreckensherrschaft,
in Nogent Friede. Auf dem Eintrachts -Platze (furchtbare Ironie) fiel Dantons Haupt, und sein blutiger
Schatten ging um, bis das Haupt dessen, der ihn
stürzte, dem seinen nachgefallen war – in Nogent
aber, als wäre die Welt so klar wie die Sommernacht
die sich jetzt über ihm wölbte, saß Otto von Rohr
unter dem Gezweig einer mächtigen Akazie , und neben ihm saß Jacqueline, die Tochter des Hauses, halb
Kind noch, und hörte ihm zu, wenn er von seiner
Heimat erzählte, von den weiten Strecken Sand und
der Sumpfniederung, in der ein Fluß laufe, »schilfbe-
standen und tief und schwarz wie der Styx, der um
das Reich des Todes schleicht«. Dann fragte Jacque-
line, »ob dort auch Menschen wohnen«.
»Kaum«, antwortete der Gefangene voll übermütiger
Laune, »Halbwilde nur, die schwarzes Brot essen und
einen bräunlichen, immer schäumenden Saft trinken,
den sie Bier nennen. Und zur Winterzeit machen sie
Löcher ins Eis und springen hinein oder jagen tage-
lang durch den Wald, um Füchse zu fangen und mit
dem wilden Eber
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