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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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allerlei Ge-
    sellschaft ein: der gute, christliche Kerkermeister,
    dessen Ehegespons, einige Gensdarmen, schließlich

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    auch einige Offiziere. Man kam und ging, alle waren
    voller Mitleid, aber dabei hatte es sein Bewenden.
    Im Laufe des Vormittags erschienen: ein Generalad-
    jutant namens Bertrand, mehrere junge Leute von
    der Adjutantur, endlich auch ein Secretair, um unse-
    re Charaktere und Namen aufzunehmen. Alle diese
    Herren, besonders sichtbar und auffallend aber der
    Erstgenannte (Bertrand), waren äußerst betreten,
    uns so gemißhandelt zu finden. Der Umstand, daß
    die Zweibrücker Mädchen uns ein Frühstück, und
    zwar als ein Almosen, gereicht, dazu auch einen Arzt
    uns zugeführt hatten, brachte die Herren vorzugs-
    weise in Verlegenheit. Sie waren Zeugen, daß wir
    unsere Wohltäterinnen mit einem einfachen ›Gott
    vergelt's euch‹ bezahlen mußten. Einige der jungen
    Offiziere versuchten auf mancherlei Art, die Sache zu
    entschuldigen, doch ging es ihnen damit nur schlecht
    vonstatten. Der Umstand, daß man uns in drei Tagen
    noch kein Zehrungsgeld, am Nachmittag und Abend
    kein Brot und auf die letzte Nacht auch nicht einmal
    Wasser, Heizung und Licht zur Genüge gegeben hat-
    te, war nicht wohl zu entschuldigen. Alles, was man
    für uns getan, war, daß man uns unsere Schärpen
    geraubt hatte. Bei Aufzählung aller Unbill, die wir
    erfahren, traten mir die Tränen in die Augen. Bert-
    rand, als er dessen gewahr wurde, trat zu mir heran
    und hatte freundliche Worte für mich. Es tat mir
    wohl, und ich vermochte mich wieder zu fassen.
    Nachdem man unsere Namen und Charakter aufge-
    schrieben, schenkte uns Bertrand unter dem groß-
    mütigen Vorwande, ›daß es die rückständige Gage
    sei‹, anderthalb Karolin; auch wurde ein Mittagbrot

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    für uns besorgt. Ein Bekannter Wilhelmys, ein verab-
    schiedeter Soldat, der jetzt in Zweibrücken lebte und
    vor einigen Wochen erst als Handelsmann Wein und
    andere Lebensmittel ins Lager geliefert hatte, er-
    schien ebenfalls. Dieser verschaffte einem jeden von
    uns ein Hemd. Infolge davon wurde nun zwar unsere
    Kasse so gut wie wieder gesprengt, aber dennoch
    erkauften wir die Glückseligkeit des Wäschewech-
    selns damit nicht zu teuer.
    Gegen Mittag brachen wir aus der Zweibrückener
    Armensünderstube auf und kamen um drei Uhr in
    Blieskastel an. Man war unschlüssig, wohin mit uns.
    Nachdem wir wieder drei viertel Stunden lang auf
    freier Straße zur Schau ausgestellt gewesen waren,
    brachte man uns endlich in den ›Turm‹. Sergeanten
    und Gemeine bekamen den Raum unterm Dach; wir
    Offiziere und der Junker aber wurden in die Stube
    des Stockmeisters einquartiert. Hier fanden wir be-
    reits zehn oder zwölf Geiseln vor, die die französische Armee bei ihrer Retirade aus der umliegenden
    Gegend mitgenommen hatte.«

    Hier brechen die Briefe ab. Was ich noch zu erzählen
    haben werde, steht räumlich in keinem entsprechen-
    den Verhältnis zu dem bis hierher Mitgeteilten. Otto
    von Rohr samt seinen Leidensgenossen, die wir aus
    vorstehenden Briefen kennengelernt, wurde nach
    Frankreich abgeführt und in Nogent-sur-Seine, etwa
    siebzig Kilometer von Paris, interniert gehalten. Hier
    lebte er, ein Jahr lang und darüber, in ungetrübtem

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    Glück, soweit das Leben eines Gefangenen über-
    haupt ein glückliches sein kann. Die große Zeit störte
    nicht seine Kreise. In Paris die Schreckensherrschaft,
    in Nogent Friede. Auf dem Eintrachts -Platze (furchtbare Ironie) fiel Dantons Haupt, und sein blutiger
    Schatten ging um, bis das Haupt dessen, der ihn
    stürzte, dem seinen nachgefallen war – in Nogent
    aber, als wäre die Welt so klar wie die Sommernacht
    die sich jetzt über ihm wölbte, saß Otto von Rohr
    unter dem Gezweig einer mächtigen Akazie , und neben ihm saß Jacqueline, die Tochter des Hauses, halb
    Kind noch, und hörte ihm zu, wenn er von seiner
    Heimat erzählte, von den weiten Strecken Sand und
    der Sumpfniederung, in der ein Fluß laufe, »schilfbe-
    standen und tief und schwarz wie der Styx, der um
    das Reich des Todes schleicht«. Dann fragte Jacque-
    line, »ob dort auch Menschen wohnen«.
    »Kaum«, antwortete der Gefangene voll übermütiger
    Laune, »Halbwilde nur, die schwarzes Brot essen und
    einen bräunlichen, immer schäumenden Saft trinken,
    den sie Bier nennen. Und zur Winterzeit machen sie
    Löcher ins Eis und springen hinein oder jagen tage-
    lang durch den Wald, um Füchse zu fangen und mit
    dem wilden Eber

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