Wanderungen durch die Mark Brandenburg
war schließlich einsichtig genug, in
dieser Frage nachzugeben. Ich packte also meinen
Koffer und ging auf zwei Jahre nach Paris. Während
der ersten Monate flanierte ich, um die Weltstadt
kennenzulernen, in den Straßen umher, dann nahm
ich eine Stellung in einem kaufmännischen Geschäft
an und wurde meines Fleißes halber belobt, während
man mir das ausbedungene Gehalt schuldig blieb.
Meine Kollegen lachten darüber und sagten: ›Monsi-
eur, vous avez travaillé pour le roi de Prusse.‹ Bald
danach trat ich, um's besser zu haben, in ein spani-
sches Kommissionshaus ein. Als aber infolge der
ausbrechenden Februarrevolution (1848) alle Ge-
schäfte zu stocken begannen, gab ich auch diese
Stellung wieder auf und zog es vor, eine Reise nach
dem südlichen Frankreich, nach Spanien und Algier
zu machen. Bei dem Wiedereintreffen in Paris fand
ich Briefe vor, die mich in die Heimat zurückberiefen,
und vom Sommer 1848 an war ich wieder in Ruppin.
Es folgten diesem ersten großen Ausfluge noch ver-
schiedene Reisen, aber alle waren von kürzerer Dau-
er. So war ich beispielsweise Anfang der fünfziger
Jahre verschiedentlich in Wien und Venedig und
1855 ein halbes Jahr lang in England, bis ich mich
das Jahr drauf mit Helene Campe, Tochter des Buch-
händlers Julius Campe zu Hamburg (Verleger Hei-
nes), verlobte. Mein Papa, als er mich zur Verlo-
bungsfeier nach Hamburg begleitete, schmeichelte
sich damit, in meinem Schwiegervater einen wohlha-
benden Mann gewonnen zu haben, von dessen Ver-
mögen mir sofort ein erheblicher Bruchteil zufallen
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würde. Beide alte Herrn unterhielten sich dann auch
über diesen Punkt und suchten sich auszuhorchen.
›Was geben Sie Ihrem Sohne mit?‹ fragte Campe.
›50 000 Taler‹, antwortete mein Papa und erwartete
eine Gegenerklärung von ungefähr derselben Höhe.
Campe aber antwortete nur: ›Wohl Ihnen.‹
Und dabei blieb es. 4000 Taler abgerechnet, die mir
mein Schwiegervater zur Bestreitung der Aussteuer,
unmittelbar nach der Trauung, in die Hand drückte.
Glücklicherweise zog ich mit meiner Heirat, auch
ohne besondere Legitimierung von seiten meines
Schwiegervaters, ein glückliches Los. Meine Frau
hatte, unter häuslichen Tugenden, auch den Vorzug
einsichtsvoller Klugheit und die Fähigkeit, sich in die Verhältnisse der neuen Familie zu schicken. Aus unserer Ehe wurden uns vier Kinder geboren.
1857 übernahm ich das alte Geschäft in der Stadt,
das ich von diesem Zeitpunkt an selbständig leitete.
Vier Monate des Jahres befand ich mich in der Regel
auf Reisen, um die nötigen Einkäufe zu machen, war
ich aber wieder daheim, so langweilte mich der ›Ver-
kauf im einzelnen‹, und das sogenannte ›Ladenge-
schäft‹ sagte mir gradesowenig zu wie vordem. Auch
das kleine Ruppiner Leben war durchaus nicht nach
meinem Sinn, lauter Dinge, die sich erst zum Bes-
sern kehrten, als mich der Wandel der Zeiten in grö-
ßere kaufmännische Verhältnisse führte: Kapitals-
Assoziationen fanden statt, und eine der großen
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Gründerepoche der siebziger Jahre voraufgehende
Aktienschwindelzeit brach gerade damals an. In sich
verwerflich genug. Aber so verwerflich diese Zeit und
ihre Manipulationen sein mochten, ja, mit so großen
Verlusten sie für mich verknüpft waren – das ganze
kaufmännische Leben erschien mir doch plötzlich in
einem neuen Licht, und wenn mich früher das Klein-
liche gelangweilt und auch angewidert hatte, so war
jetzt etwas da, was mich interessierte, was Gedan-
ken und Spekulationen in mir anregte. Mit den grö-
ßeren Summen, die mir trotz und inmitten meiner
Verluste doch immer reichlich wieder zu Händen ka-
men, ermöglichten sich Unternehmungen der man-
nigfachsten Art, Ankäufe kamen zustande, und große
und kleine Liegenschaften, teils in Nähe, teils in
mehrmeiliger Entfernung von Ruppin, wurden erwor-
ben, was schließlich dahin führte, daß wir, mein Va-
ter und ich, eine halbe Quadratmeile Torf- und Wie-
senterrain im Wustrauschen und im Rhin-Luch besa-
ßen, ja, uns bald danach sogar in der Lage sahn, ein
mit einigen fruchtbaren Ackerstreifen durchsetztes
Stück Sandland von nicht unbeträchtlichem Umfang
anzukaufen. Dies waren die nach Rheinsberg hin
gelegenen ›Kahlenberge‹, die, nach ihrer Umgestal-
tung in Acker-, Forst- und Weideland, den Namen
Gentzrode1) und ein oder zwei Jahrzehnte später so-
gar die Rittergutsqualifikation empfingen.«
Soweit die
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