Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Heidekraut drauf
wuchsen, und an dieser Wüste vorbei (wenn nicht
querdurch, was auch vorkam) wanderten wir bis an
die ›Räuberkute‹, die wir schon um ihres Namens
willen liebten und der nur leider die Räuber fehlten.
Mitten im Sande begegneten wir dann plötzlich ei-
nem Sumpfloch mit wilden Enten drauf, nach denen
wir vom Ufer her mit Steinen warfen, bis sie weiter-
flogen oder niedertauchten. Hinter der ›Räuberkute‹
lief dann, die sogenannte Schwedenschanze durch-
schneidend, ein alter Weg auf die Neue Mühle zu.
Dies war der Ausflug, den wir am häufigsten mach-
ten, am liebsten aber war uns der Weg am Klapp-
graben hin und dann über diesen fort bis zu den mit
Eichen und Buchen bestandenen ›drei Wällen‹, die
wohl auf 1000 Schritt die Grenze zwischen der Stor-
becker und Kränzliner Feldmark ziehen und den Ein-
gang zu einem prachtvollen Eichenkamp, der der
›Blecherne Hahn‹ hieß, bildeten, eine landschaftlich
reizende Partie mit Baumgruppen, wie sie sich, was
unsere Grafschaft angeht, kaum noch auf dem schö-
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nen Ruppiner Wall und im Forstrevier ›Pfefferteich‹
vorfinden. Ja, nach dem ›Blechernen Hahn‹ hin, wo
sich eine Meierei mit Milchwirtschaft befand, das war
ein beliebter Ausflug, und nur eines gab es, was
noch darüber hinausging, das war ein in der Nähe
der Kahlenberge gelegenes Elsbruch, mit einem
dunklen Wassertümpel in der Mitte, der den Namen
der ›Gänsepfuhl‹ führte. Das war harmlos genug, es
war aber die unheimlichste Stelle in der ganzen Ge-
gend, an die sich allerlei Spukgeschichten knüpften,
Geschichten, deren Grusel noch wuchs, als es eines
Morgens hieß, Uhrmacher Hettig und Ratsdiener Kal-
le, die hier zu fischdieben und sich zu diesem Zwe-
cke eines am Ufer liegenden alten Fischerkahnes zu
bedienen pflegten, seien in der Nacht vorher auf dem
Gänsepfuhl ertrunken. Ja, der Grusel wuchs, das
muß ich wiederholen, aber ich kann nicht sagen, daß
sich im übrigen ein mir zur Ehre gereichendes
menschliches Mitgefühl mit eingeschlichen hätte,
namentlich was den Ratsdiener Kalle betraf. Dieser
nämlich war unser aller Feind, weil er uns, wenn wir
uns auf eine städtische Wiese verirrten, um Schmet-
terlinge zu fangen, immer abzufassen suchte, bei
welcher Arbeit ich auch wirklich mal ergriffen und
von ihm gepfändet worden war. Ich war jetzt naiv
oder selbstsüchtig genug, in dem Tod, den er erlit-
ten, eine gerechte Strafe für die mir widerfahrene
Strenge zu sehn, und sympathisierte durchaus mit
dem hämischen Fischer, der den am Ufer liegenden
Kahn vorher durchlöchert und dadurch den Tod bei-
der Inkulpaten herbeigeführt hatte. Daß Kalle neun
Kinder hinterließ, änderte wenig in meinen Augen.
Nichts Egoistischeres als ein halberwachsener Junge.
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Sonderbarerweise kam der Elsbruch und mit ihm der
gefürchtete Gänsepfuhl dreißig Jahre später in mei-
nen Besitz, und als ich an die Urbarmachung des
Bruches ging und den mit Kraut ganz durchwachse-
nen Gänsepfuhl ausbaggern ließ, kam auch das Boot
wieder ans Licht, darin Hettig und Kalle ihren Tod
gefunden hatten, und ich sah nun deutlich die Lö-
cher, die der Kahnbesitzer, um seine fischdiebenden
Feinde zu vernichten, hineingebohrt hatte.
Zehn Jahr alt, kam ich auf das Ruppiner Gymnasium
und verließ es von Sekunda aus, um noch die Mag-
deburger Handelsschule zu besuchen, denn es stand
fest, daß ich für den Kaufmannsstand erzogen wer-
den sollte. Jahr und Tag war ich in Magdeburg und
kam dann in ein Stettiner Modewarengeschäft, um
daselbst die Handlung zu erlernen. Es erging aber
meinen Eltern mit mir nicht besser als mit meinem
älteren Bruder Wilhelm: auch mir wollte das Kauf-
männische, wenigstens in der Gestalt, in der es mir
damals entgegentrat, nicht behagen, und alle meine Neigung richtete sich, wie bei meinem Bruder, auf
die Kunst. Ich überwand mich aber und hielt aus. Als
ich zwanzig Jahr war, wollt ich aus den engen Ver-
hältnissen heraus und in die Welt hinein. Meine
Sehnsucht war Paris, was meine Eltern veranlaßte,
meinen Oheim, den in Neustrelitz wohnenden Rentier
Voigt (einen Bruder meiner Mutter), nach Ruppin
kommen zu lassen, um mich von meiner Reisesehn-
sucht abzubringen. ›Der Junge geht ins Verderben‹,
sagte Onkel Voigt, ›bringt ihn nach Wittstock. Was
soll er in Paris? In Wittstock kann er was lernen.‹ Es
half aber alles nichts, ich blieb bei meinem Willen,
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und meine Mutter
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