Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Nur kein System!...
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»Geld und Nüchternheit übernahmen hier von An-
fang an die Gestaltung und Regelung des Ganzen,
aber doch derartig eigentümlich, daß sich, innerhalb
der nüchternsten Erwägungen, ein beständiger, ans
Sublime streifender Hang zu Kalkül und Spekulation
zu erkennen gab. Wie Rechner und Schachspieler
phantastisch werden können, wie's eine Trunkenheit
des Verstandes gibt, ähnlich operierte man auch
hier.« Jeder herkömmliche Satz wurde angezweifelt,
eben weil er herkömmlich war, die Kritik wurde zum
schöpferischen Element.
Und die Devise jedes neuen Tags,
Sie lautete: ich will es und ich wag's .
Im Einklange damit war es, daß, allem Spott der
Besserwisser zum Trotz, von Anfang an der eine Gedanke verfolgt wurde: den Ackerbetrieb, mit Rück-
sicht auf den sterilen Boden, nach Möglichkeit zu
beschränken und statt seiner, neben Maulbeerbaum-
pflanzungen und Seidenzucht, den Brennereibetrieb
und, als auch dieser, wie schon vorher die Seiden-
zucht, versagte oder wenigstens nicht voll genügte,
große Waldkulturen in Angriff zu nehmen. Dies ergab
relativ glänzende Resultate, da man, von Anfang an,
auf nur sehr mäßige Zinserträge gerechnet hatte.
Verhältnismäßig rasch war aus der Anlage so viel
geworden, daß die ehemaligen »Kahlenberge« als
eine märkische Musterwirtschaft angesehen wurden.
Ackerfelder zogen sich in breiten Flächen über das
Plateau hin, desgleichen frische Wiesen am Fuße
desselben, überall aber, den Abhang hinab und dann
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eingemustert in die Schläge, wuchsen Schonungen
auf und bedeckten eine ziemlich bedeutende Fläche
mit jungen Eichen, Birken und Buchen. Aus dem Mit-
telpunkt dieser Neuschöpfung aber erhob sich, quad-
ratisch, ein Komplex von Wirtschaftsgebäuden, hoch
von Schornsteinen überragt, deren Rauchfahnen weit
ins Land hinein die Wandlung verkündeten, die sich
an dieser Stelle vollzogen hatte. Dem entsprachen
auch die mittlerweile herangezogenen Arbeitskräfte.
Drei Inspektoren waren da, samt vielen Knechten
und Mägden, alles in allem 116 Menschen, an einer
Stelle, wo, seit dem Hinsterben des letzten Turm-
wächters auf der »Kuhburg«, kein menschlich Wesen
mehr gelebt hatte. Der schönste Moment aber war
der, als das erste Kind, ein Junge, auf dieser Stelle
geboren wurde, was den alten Gentz das stolze Wort
sprechen ließ: »Er ist der erste hier, er soll Adam heißen.«
Alles war in gutem Stand und Gedeihen, als Johann
Christian Gentz, zwölf Jahre nach der Begründung,
starb.
2. Vom Tode des alten Johann
Christian Gentz (1867) bis zum
Bau des Gentzroder Herrenhau-
ses 1877
Am 4. Oktober 1867 war der alte Gentz gestorben
und vorläufig, bis zur endlichen Ausführung eines für
Gentzrode geplanten Mausoleums, auf dem alten
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Ruppiner Kirchhof am Wall beigesetzt worden. Sein
jüngster Sohn Alexander trat nach erfolgter Vermö-
gensauseinandersetzung mit seinem älteren Bruder
Wilhelm, dem Maler, das Gesamterbe an, das aus
folgenden Hauptstücken bestand:
aus dem Stadthaus samt Laden- und Bankgeschäft,
aus dem sogenannten »Tempelgarten« samt Tempel
vorm Tempeltor,
aus dem Torfgeschäft im Luch, und viertens und
letztens
aus Gentzrode,
welchem letzteren der neue Besitzer von Anfang an
seine volle Hingabe widmete. Bevor ich indessen
erzähle, wie diese speziell Gentzrode zugute kom-
mende Hingabe sich äußerte, geb ich, als Einleitung,
eine biographische Skizze des neuen Besitzers bis zu
dem Zeitpunkt der Gutsübernahme. Bei der Skizze
selbst aber folge ich Alexander Gentz' eigenen Auf-
zeichnungen.
Alexander Gentz
»Ich wurde«, so schreibt er, »am 14. April 1825 ge-
boren, und zwar als der jüngste von vier Brüdern,
die, von frühester Kindheit an, sämtlich lebhaften
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Geistes und von gleicher Neigung beseelt waren, sich
in freier Natur herumzutummeln, um Pflanzen, Käfer,
Vogeleier und Schmetterlinge zu sammeln. Ein Ele-
mentarlehrer, der Weißbauer hieß und trotz eines
mehr als bescheidenen Gehalts von nur 120 Talern
sich eine wundervolle Pflanzen- und Insektensamm-
lung angelegt hatte, wußte durch Exkursionen, auf
denen wir ihn begleiten durften, unsren Eifer für na-
turwissenschaftliche Dinge zu steigern. Es ging meis-
tens auf Alt Ruppin zu bis an den Molchow-See. Die
weite Sandfläche – von kleinen Hügeln unterbrochen,
mit denen der Wind spielte – war so tot und öde, daß
nicht einmal Fichtengestrüpp oder
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