Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Menzel (ehemali-
ger Apotheker), der mit der Abschätzung zu tun hat-
te, war erheblich anfechtbarer. Man wußte nie, was
eigentlich seine Meinung war, und wäre die Graf-
schaft Ruppin noch katholisch gewesen, so hätte
man glauben müssen, er sei in einem Jesuitenkloster
erzogen. Posthalter Hoepfner ersetzte, was er an
Tüchtigkeit nicht besaß oder wenigstens nicht zeigen
wollte, durch ausdrucksvolle Rede, die, je länger sie
dauerte, desto schöner wurde. Vor allem bemer-
kenswert indes war der stellvertretende Bürgermeis-
ter und Auskultator a. D. Mollius, Sohn des im vori-
gen Jahrhundert in der Ruppiner Geschichte vielge-
nannten Ratsherrn Mollius. Vor diesem Auskulta-
tor a. D., wenn man ihm in der Dämmerung begeg-
nete, konnte man sich fürchten, denn zu eingezog-
nem Kreuz und durchbohrendem Blick trug er das
Gesicht bis an die Nasenspitze derartig in ein dickes
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Halstuch gewickelt, daß man ihn für Robespierre hal-
ten konnte. Bei näherer Bekanntschaft wurde man
freilich gewahr, daß dies anscheinende Revolutions-
und Schreckgespenst, trotz seiner sechzig Jahre, von
sehr kümmerlicher Konstitution war und zu nicht viel
mehr als einem zarten Knaben zusammenschrumpf-
te. So war Mollius. Das Lumen des ganzen Kollegi-
ums aber und zugleich die Geißel desselben war
Mühlenbesitzer und Particulier Gustav Schultz, den
mein Vater immer nur ›Gustav von Gottes Gnaden‹
nannte. Sein Verstand und seine praktische Befähi-
gung waren gut, aber er hütete sich auch, sein Licht
unter den Scheffel zu stellen, und wer dies Licht
dennoch nicht sehen wollte, der war sein Feind. Das
Oberhaupt dieser ratsherrlichen Körperschaft war
Bürgermeister von Schultz, früher Offizier in dem in
Ruppin garnisonierenden Infanterieregiment.
So war der Magistrat. Neben diesem aber gab es
auch freiere, natürlich in beständiger Fehde mit- und
untereinander lebende Gemeinschaften, die Capulets
und Montecchis von Ruppin, von denen jene die
Gruppe der Haus -, diese die Gruppe der Acker besitzer bildeten. Unter den Capulets der Hausbesitzer
(nur dieser einen Gruppe sei hier in Kürze gedacht) ragten zwei hervor: zunächst der Sattlermeister Rosenhagen, ein Greis von über achtzig, der aus ver-
schiedenen Gründen als ein Orakel galt. 1789 war er
in Paris gewesen und hatte den Bastillensturm miter-
lebt, weshalb er – wohl mit sehr fraglichem Recht –
der ›Bastillenstürmer‹ hieß. Es paßte dazu, daß seine
beiden Söhne sich in Frankreich niedergelassen hat-
ten; er selber trug sich französisch, in der Tracht des 814
vorigen Jahrhunderts. – Neben ihm, auch aus der
Gruppe der Hausbesitzer und von ähnlicher Bedeu-
tung wie Rosenhagen, wenn auch nicht voll so wich-
tig, stand Schmiedemeister Krausnick, der sich auf
den Philosophen hin ausspielte. Von ihm hieß es, daß
er die sämtlichen Bände des ›Allgemeinen Land-
rechts‹ besessen habe, was auf seine Mitbürger der-
artig wirkte, daß seine juristische Befähigung außer
Zweifel war.
Haus besitzer und Acker besitzer waren zwei große Körperschaften außerhalb des Rahmens der eigentlichen Stadt regierung , während eine mit der Stadt-forstverwaltung betraute Bürgergruppe, deren ne-benherlaufende Zugehörigkeit zu der einen oder an-
dern der großen Körperschaften unerörtert bleiben
mag, schon mehr innerhalb des Regierungsrahmens
stand. Es waren ihrer zwölf. Vorsitzender war der
schon als Magistratsmitglied genannte Kürschner-
meister Emden, ein ordentlicher, einsichtsvoller
Mann, dem Drechslermeister Krengemann als ›Sach-
verständiger‹ beigegeben war. Der wußte von Wald
und Forst zu reden, daß es eine Freude war, und
wenn Gott für den ausgestreuten Kiefernsamen
rechtzeitig Regen und Sonnenschein schickte, so
bewies sich unser ›Sachverständiger‹ auch als Sach-
verständiger comme il faut. Blieb aber der liebe Gott
aus, ja, wo blieben da Krengemann und seine Fich-
ten! Neben Krengemann lagen dem Schuhmacher
Lehmann die vorzunehmenden ›Kulturarbeiten‹ ob,
und er unterzog sich dieser Aufgabe mit einer fast
ans Krengemannsche grenzenden Wald- und Forst-
weisheit. Von ähnlicher Bedeutung oder auch von
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größerer – weil er das Amt eines Kassenrendanten
verwaltete – war Schlosser Grunow, ein wohlhaben-
der, kinderloser Mann, bei dem die 800 Taler, die,
nach stattgehabter Holzauktion, den jedesmaligen
Höhepunkt der Kasse bildeten, wenigstens schloßsi-
cher
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