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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

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Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Menzel (ehemali-
    ger Apotheker), der mit der Abschätzung zu tun hat-
    te, war erheblich anfechtbarer. Man wußte nie, was
    eigentlich seine Meinung war, und wäre die Graf-
    schaft Ruppin noch katholisch gewesen, so hätte
    man glauben müssen, er sei in einem Jesuitenkloster
    erzogen. Posthalter Hoepfner ersetzte, was er an
    Tüchtigkeit nicht besaß oder wenigstens nicht zeigen
    wollte, durch ausdrucksvolle Rede, die, je länger sie
    dauerte, desto schöner wurde. Vor allem bemer-
    kenswert indes war der stellvertretende Bürgermeis-
    ter und Auskultator a. D. Mollius, Sohn des im vori-
    gen Jahrhundert in der Ruppiner Geschichte vielge-
    nannten Ratsherrn Mollius. Vor diesem Auskulta-
    tor a. D., wenn man ihm in der Dämmerung begeg-
    nete, konnte man sich fürchten, denn zu eingezog-
    nem Kreuz und durchbohrendem Blick trug er das
    Gesicht bis an die Nasenspitze derartig in ein dickes

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    Halstuch gewickelt, daß man ihn für Robespierre hal-
    ten konnte. Bei näherer Bekanntschaft wurde man
    freilich gewahr, daß dies anscheinende Revolutions-
    und Schreckgespenst, trotz seiner sechzig Jahre, von
    sehr kümmerlicher Konstitution war und zu nicht viel
    mehr als einem zarten Knaben zusammenschrumpf-
    te. So war Mollius. Das Lumen des ganzen Kollegi-
    ums aber und zugleich die Geißel desselben war
    Mühlenbesitzer und Particulier Gustav Schultz, den
    mein Vater immer nur ›Gustav von Gottes Gnaden‹
    nannte. Sein Verstand und seine praktische Befähi-
    gung waren gut, aber er hütete sich auch, sein Licht
    unter den Scheffel zu stellen, und wer dies Licht
    dennoch nicht sehen wollte, der war sein Feind. Das
    Oberhaupt dieser ratsherrlichen Körperschaft war
    Bürgermeister von Schultz, früher Offizier in dem in
    Ruppin garnisonierenden Infanterieregiment.
    So war der Magistrat. Neben diesem aber gab es
    auch freiere, natürlich in beständiger Fehde mit- und
    untereinander lebende Gemeinschaften, die Capulets
    und Montecchis von Ruppin, von denen jene die
    Gruppe der Haus -, diese die Gruppe der Acker besitzer bildeten. Unter den Capulets der Hausbesitzer
    (nur dieser einen Gruppe sei hier in Kürze gedacht) ragten zwei hervor: zunächst der Sattlermeister Rosenhagen, ein Greis von über achtzig, der aus ver-
    schiedenen Gründen als ein Orakel galt. 1789 war er
    in Paris gewesen und hatte den Bastillensturm miter-
    lebt, weshalb er – wohl mit sehr fraglichem Recht –
    der ›Bastillenstürmer‹ hieß. Es paßte dazu, daß seine
    beiden Söhne sich in Frankreich niedergelassen hat-
    ten; er selber trug sich französisch, in der Tracht des 814
    vorigen Jahrhunderts. – Neben ihm, auch aus der
    Gruppe der Hausbesitzer und von ähnlicher Bedeu-
    tung wie Rosenhagen, wenn auch nicht voll so wich-
    tig, stand Schmiedemeister Krausnick, der sich auf
    den Philosophen hin ausspielte. Von ihm hieß es, daß
    er die sämtlichen Bände des ›Allgemeinen Land-
    rechts‹ besessen habe, was auf seine Mitbürger der-
    artig wirkte, daß seine juristische Befähigung außer
    Zweifel war.
    Haus besitzer und Acker besitzer waren zwei große Körperschaften außerhalb des Rahmens der eigentlichen Stadt regierung , während eine mit der Stadt-forstverwaltung betraute Bürgergruppe, deren ne-benherlaufende Zugehörigkeit zu der einen oder an-
    dern der großen Körperschaften unerörtert bleiben
    mag, schon mehr innerhalb des Regierungsrahmens
    stand. Es waren ihrer zwölf. Vorsitzender war der
    schon als Magistratsmitglied genannte Kürschner-
    meister Emden, ein ordentlicher, einsichtsvoller
    Mann, dem Drechslermeister Krengemann als ›Sach-
    verständiger‹ beigegeben war. Der wußte von Wald
    und Forst zu reden, daß es eine Freude war, und
    wenn Gott für den ausgestreuten Kiefernsamen
    rechtzeitig Regen und Sonnenschein schickte, so
    bewies sich unser ›Sachverständiger‹ auch als Sach-
    verständiger comme il faut. Blieb aber der liebe Gott
    aus, ja, wo blieben da Krengemann und seine Fich-
    ten! Neben Krengemann lagen dem Schuhmacher
    Lehmann die vorzunehmenden ›Kulturarbeiten‹ ob,
    und er unterzog sich dieser Aufgabe mit einer fast
    ans Krengemannsche grenzenden Wald- und Forst-
    weisheit. Von ähnlicher Bedeutung oder auch von

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    größerer – weil er das Amt eines Kassenrendanten
    verwaltete – war Schlosser Grunow, ein wohlhaben-
    der, kinderloser Mann, bei dem die 800 Taler, die,
    nach stattgehabter Holzauktion, den jedesmaligen
    Höhepunkt der Kasse bildeten, wenigstens schloßsi-
    cher

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