Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Bewirtschaftung; auch diejenigen Kolo-
    nisten, die nicht als Ackersleute ins Land gekommen
    waren, fanden sich leicht in die neue Arbeit und Le-
    bensweise hinein, die, ob ernster oder leichter be-
    trieben, jedem seinen Erfolg sicherte. Man streute
    aus und war der Ernte gewiß. Es wuchs ihnen zu.
    Alles wurde reich über Nacht.
    Dieser Reichtum war ein Segen, aber er war zum
    großen Teil so mühelos errungen worden, daß er
    vielfach in Unsegen umschlug. Man war eben nur

    899
    reich geworden; Bildung, Gesittung hatten nicht
    Schritt gehalten mit dem rasch wachsenden Vermö-
    gen, und so entstanden wunderliche Verhältnisse,
    übermütig-sittenlose Zustände, deren erste Anfänge
    noch der große König, der »diese Provinz im Frieden
    erobert hatte«, miterlebte und die bis in die Mitte
    dieses Jahrhunderts hinein fortgedauert haben. Ein
    Brief aus dem Jahre 1838 schildert die Zustände des
    damaligen Oderbruchs wie folgt:
    »Die Verhältnisse, die ich hier vorgefunden, sind die,
    durch alle Jahrhunderte hin immer wiederkehrenden,
    einer Viertel- und Halbkultur, Zustände, wie sie zu
    jeder Zeit und an jedem Orte sich einstellen, wo in
    noch völlig rohe und barbarische Gemeinschaften,
    ohne Zutun, ohne Mitwirkung, ohne rechte Teilnah-
    me daran, ein Stück Kultur von außen her hineinge-
    tragen wird. Das Wesen dieser Art von Existenzen ist
    die Disharmonie, der Mißklang, der Widerstreit.
    Durch gewisse Bildungsmanieren bricht immer wie-
    der die alte Roheit durch, und im Einklange hiermit
    begegnet man auch in diesen reichen Oderbruchdör-
    fern einem beständigen Gegensatze von Sparsamkeit
    und Verschwendung, von Kirchlichkeit und Aberglau-
    ben, von Ehrbarkeit und Sittenverderbnis. Der Bauer
    schreitet im langen Rock, ein paar weiße Handschuh
    an den Händen, langsam und gravitätisch nach der
    Kirche; aber er sitzt am Abend oder Nachmittag des-
    selben Tages (einige beginnen gleich nach der Kir-
    che) im ›Gasthofe‹ des Dorfes und vergnügt sich bei
    Spiel und Wein. Die Würfel rollen über das Brett, der
    sogenannte ›Tempel‹ wird mit Kreide auf den Tisch
    gemalt, alle Arten von Hasardspiel lösen sich unter-

    900
    einander ab, und um hundert Taler ärmer oder rei-
    cher, wüst im Kopfe, geht es weit nach Mitternacht
    nach Haus.
    Und ähnlich in den Haushaltungen; krasser Luxus
    und das völlig mangelnde Verständnis für das, was
    wohltut und gefällt, laufen nebeneinanderher. In
    dem Wohnzimmer steht ein großes Sofa mit blausei-
    denem Überzug, aber der Überzug ist zerrissen und
    eingefettet. Der Kupferstich an der Wand hängt völlig
    schief, und kein Auge sieht es. Das Glas des andern
    Bildes ist mitten durchgesprungen, und niemand
    denkt daran, es zu ersetzen. Die eine Tochter des
    Hauses sitzt am Fenster und näht, aber in dem Zim-
    mer, das, ebensogut wie ein Sofa und Fortepiano,
    doch auch einen Nähtisch haben könnte, fehlt dieser,
    und auf dem Fensterbrette steht nichts als ein Zigar-
    renkasten, der als Herberge für Knöpfe und Knäuel,
    für Lappen und Flicken dient. Nun geht es zu Tisch.
    Alles reichlich, aber auch nichts mehr. Die Magd mit
    klappernden Holzpantinen setzt die Speisen auf, das
    Stück Fleisch liegt unschön zerhackt auf der Schüs-
    sel; die Teller sind verschieden an Stoff und Form,
    die Messer und Gabeln sind abgewaschen, aber nicht
    blank geputzt; von Tischgebet keine Rede. So nimmt
    man Platz, und schweigend, unschön, ohne Dank
    beginnt und endet die Mahlzeit.
    So ist es alltags. Einzelnen, für schweres Geld er-
    standenen Glanz- und Prachtstücken wird die Pflicht
    des Repräsentierens auferlegt; die Personen aber
    entschlagen sich desselben. Denn es ist unbequem.
    Das Ganze, um es noch einmal zu sagen, ein bunter

    901
    Widerstreit von herrschaftlicher Prätension und bäu-
    erlicher Gewohnheit.
    Die Festtage des Hauses ändern das Bild, aber sie
    bessern es nicht. Ich habe hier Taufen und Hochzei-
    ten beigewohnt, die mir unvergeßlich bleiben wer-
    den. Wirt und Gäste wetteifern in Staat. Wagen auf
    Wagen rollt vor: Chaisen mit niedergeschlagenem
    Verdeck; die wohlgenährten Pferde tragen mit Silber
    beschlagenes Geschirr, der Kutscher ist in Livrée,
    und die Damen, die aussteigen, sind in Samt und
    Seide. Musici spielen; die Tische brechen unter der
    Last der Speisen; die Champagnerpfropfen knallen,
    und der Flur ist mit Zucker bestreut, um die Fliegen
    von den Tafelgästen möglichst fernzuhalten. Dann
    wildes Juchen und Lichter, halberstickt in

Weitere Kostenlose Bücher