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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Bergeshang;
    Dort Sicheln und Sensen, blitzend
    Die reiche Flur entlang;
    Und weiterhin die Ebne,
    Die stolz der Strom durchzieht...
    Uhland
    Nehmt, Kinder, nehmt! Es ist kein Traum!
    Es kommt aus Gottes Haus.
    W. Müller

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    Freienwalde – hübsches Wort für hübschen Ort. Sei-
    ne Rechtschreibung schwankt; aber ob wir Freien-
    walde schreiben (von »frei im Wald«) oder Freyen-
    walde (von Freyja im Wald), in den Marken gibt es
    wenig Namen von besserm Klang.
    Viele Wege führen hin; dies hat es mit berühmteren
    Plätzen gemein. Wir wählen heute nicht die kürzeste
    Strecke quer über das Plateau des Barnim, sondern
    die üblichste, über Neustadt-Eberswalde, die trotz
    des Umweges am raschesten zum Ziele führt. Bis
    Neustadt Eisenbahn, von da aus Post. Der Neustäd-
    ter Postillon, einer von den alten, mit zwei Tressen
    auf dem Arm, bläst zum Sammeln, und während
    links die weiße Wolke des dampfenden Zuges am
    Horizont verschwindet, biegt unser Postwagen rechts
    in die Chaussee ein, die uns auf der ersten Hälfte des
    Weges abwechselnd über Tal und Hügel, dann aber
    vom schönen Falkenberg aus, am Fuße des Barnim-
    Plateaus hin, dem Zielpunkt unserer Reise entgegen-
    führt.
    Wie oft bin ich dieses Wegs gekommen. Um Pfings-
    ten, wenn die Bäume weiß waren von Blüten, und
    um Weihnachten, wenn sie weiß waren von Schnee;
    heut aber machen wir den Weg zur Pflaumenzeit und
    freuen uns des Segens, der lachend und einladend
    zugleich an den gestutzten Zweigen hängt. Es ist um
    die vierte Stunde, der Himmel klar, und die nieder-
    steigende Sonne kleidet die herbstliche Landschaft in
    doppelt schöne Farben. Der Wagen, in dem wir fah-
    ren, hindert uns nicht, uns des schönen Bildes zu
    freuen; es ist keine übliche Postchaise mit Lederge-

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    ruch und kleinen Fenstern, es ist einer von den gro-
    ßen Sommerwagen, ein offenes Gefährt mit zwanzig
    Plätzen und einem »Himmel« darüber, der auf vier
    Stangen ruht. Dieser »Himmel« – die Urform eines
    Baldachins, der Wagen selbst aber dem alten Ge-
    schlecht der Kremser nah verwandt, an deren Stelle mehr und mehr das Kind der Neuzeit, »der Omnibus«, zu treten droht.
    In leichtem Trabe geht es auf der Chaussee wie auf
    einer Tenne hin, links Wiesen, Wasser, weidendes
    Vieh und schwarze Torfpyramiden, rechts die steilen,
    aber sich buchtenden Hügelwände, deren natürlichen
    Windungen die Freienwalder Straße folgt. Aber nicht
    viele befinden sich auf unserem Wagen, denen der
    Sinn für Landschaft aufgegangen; Erwachsene haben
    ihn selten, Kinder beinah nie, und die Besatzung un-
    seres Wagens besteht aus lauter Kindern. Sie wen-
    den sich denn auch immer begehrlicher dem näher
    liegenden Reiz des Bildes, den blauen Pflaumen, zu.
    In vollen Büscheln hängen sie da, eine verbotene
    Frucht, aber desto verlockender. »Die schönen
    Pflaumen«, klingt es von Zeit zu Zeit, und sooft un-
    ser Kremser den Bäumen nahe kommt, fahren etli-
    che kleine Hände zum Wagen hinaus und suchen die
    nächsten Zweige zu haschen. Aber umsonst. Die Be-
    wunderung fängt schon an in Mißstimmung umzu-
    schlagen. Da endlich beschleicht ein menschliches
    Rühren das Herz des Postillons, und auf jede Gefahr,
    selbst auf die der Pfändung oder Anzeige, hin links
    einbiegend, fährt er jetzt mit dem wachsleinenen
    Baldachin mitten in die Zweige des nächsten Baumes
    hinein. Ein Meistercoup. Wie aus einem Füllhorn fällt

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    es von Front und Seite her in den offenen Wagen;
    alles greift zu; der Kleinste aber, ein Blondkopf, der
    vorne sitzt und die Leine mit halten durfte, als führ
    er selber, deklamiert jetzt auf den schmunzelnden
    Postillon ein: »Das ist der Daum, der schüttelt die
    Pflaum«, und an Landhäusern und Wassermühlen,
    an Gärten und Fischernetzen vorüber geht es unter
    endloser Wiederholung des Kinderreims, in den der
    ganze Chorus einfällt, in das hübsche, aber holprige
    Freienwalde hinein.
    Freienwalde ist eine Bergstadt, aber nicht minder ist
    es ein Badeort, eine Fremdenstadt . Wir haben erst eine einzige Straße passiert und schon haben wir
    fünf Hôtels und eine Hofapotheke gezählt; noch sind
    wir nicht ausgestiegen, und schon rasseln andere
    Postwagen von rechts und links heran; das Blasen
    der Postillone nimmt kein Ende; Herren in grünen
    Reiseröcken und Tiroler Spitzhüten wiegen sich auf
    ihren Stöcken und umstehen das Posthaus, bloß in
    der vagen Hoffnung, ein bekanntes oder gar ein hüb-
    sches Gesicht zu sehen; Hausknechte

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