Wanderungen durch die Mark Brandenburg
er
auch wieder auf den Stallboden, während die
andern nach der Kirche waren, und das Lär-
men und Poltern und Lachen nahm wieder
seinen Anfang wie früher, nur viel wilder und
lauter. So ging es wohl eine Stunde; als aber
der Prediger auf der Kanzel eben amen ge-
sagt hatte, da gab es einen Knall, der die Kir-
che und alle Häuser im Dorf erschütterte, und
als die Leute nach Hause stürzten, fanden sie
die Stallbodentür weit auf die Straße ge-
schleudert, Rotmützeken aber an einem
Kreuzbalken erhängt. Sie begruben ihn in ei-
ner Ecke des Kirchhofs. Er hatte aber nicht
Ruh im Grabe. Immer in der Sonntagsnacht
nach Weihnachten erschien er auf dem Kirch-
hof, und die Hirten, die damals (wo im Som-
mer das Bruch unter Wasser stand) oft noch
um die Weihnachtszeit ihr Vieh auf die Weide
trieben, sahen ihn dann, wie er auf dem bret-
ternen Kirchhofszaun saß und mit dem Kopf
schüttelte. Er war dürr wie ein Skelett, aber
er trug immer noch die rote Mütze. Daran
hatten sie auch erkannt daß es kein andrer
sein konnte als »Rotmützeken«.
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3. Die Kolonisierung
und die Kolonisten
Es fiel zu leicht euch in den Schoß,
»Zu glücklich sein« war euer Los.
Wie heißt der Spruch im Golden Buch?
»Reichtum ist Segen, und Reichtum ist Fluch.«
Die umfangreichen Arbeiten, die unter Friedrich dem
Großen von 1746 bis 1753 ausgeführt wurden, ka-
men dem gesamten Oderbruche zustatten; in beson-
derem Maße aber doch nur dem nördlichen Teile
desselben, dem Niederbruch . Dies war auch Zweck.
Das Oberbruch zwischen Frankfurt und Küstrin war längst unter Kultur1); das sumpfige Niederbruch , zwischen Küstrin und Freienwalde, war der Kultur erst
zu erobern.
Diese Eroberung des Nieder bruchs, mit dem wir uns auch hier wieder ausschließlich beschäftigen, geschah, wie ich schon in dem Kapitel »Die Verwal-
lung« gezeigt habe, a) durch das neue Oderbett,
b) durch die Eindeichung, c) durch Abzugskanäle.
Das Niederbruch , vor Ausführung dieser Arbeiten, war ein drei bis vier Quadratmeilen großes Stück
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Sumpfland, auf dessen wenigen, etwas höher gele-
genen Sandstellen sich acht kümmerliche Dörfer vor-
fanden. Diese waren:
Reetz, Meetz,
Lebbin, Trebbin,
Großbaaren, Kleinbaaren,
Wustrow und Altwriezen.
So, wie hier aufgeführt, wurden diese Dörfer früher
geschrieben. Die Rechtschreibung einzelner dieser
Namen ist seitdem eine andre geworden: Meetz ist
Mädewitz, Lebbin ist Lewin, Großbaaren und Klein-
baaren ist Groß- und Kleinbarnim. In der Volksspra-
che aber leben die alten Namen noch fort. Man sagt
noch jetzt: Meetz, Lebbin und jedenfalls Groß- und
Kleinbaaren.
Diesen acht kümmerlichen Fischerdörfern zuliebe
konnte natürlich seitens des großen Königs die Ent-
wässerung von drei oder vier Quadratmeilen Sumpf-
land nicht vorgenommen werden, um so weniger, als
er sehr wohl wußte, daß die Reetzer und Meetzer
Fischer, wenn er ihnen auch alles entwässerte Land
abgaben- und mühelos zu Füßen gelegt hätte, doch,
nach Art solcher Leute, nur über den Verlust ihrer
alten Erwerbsquellen (Heumahd und Fischerei) ge-
klagt haben würden. Der König verfuhr also anders.
Er hatte durch seine Mittel das Land gewonnen und verteilte das Gewonnene nach seinem Belieben. Einen wesentlichen Teil behielt er selbst (königlicher
Anteil), den Rest erhielten die angrenzenden Städte
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und Rittergüter, einiges auch die alten Dorfschaften.
Das gewonnene Land betrug im ganzen
130 000 Morgen, auf welches nun, wie man sonst
Bäume pflanzt oder einsetzt, 1300 Familien »angesetzt« wurden. Das geschah in dreiundvierzig neu-
gegründeten Kolonistendörfern. Die Gründung dieser
Kolonistendörfer war Sache des Königs auf dem kö-
niglichen Anteil, Sache der Städte und Rittergüter
auf den Anteilen, die diesen zugefallen waren. So entstanden königliche , städtische und adlige Kolonistendörfer.
Die königlichen Kolonistendörfer waren von Anfang an die größten und wichtigsten und sind es wohl
auch geblieben. Mit Ausnahme von Herrenhof und
Herrenwiese führen sie sämtlich die Namen alter
Bruch- und Uferdörfer, denen nur, zur Unterscheidung, die Silbe »Neu« hinzugefügt worden ist. Es
sind folgende:
Neubarnim
Neulietzegöricke
Neulewin
Neumädewitz
Neutrebbin
Neureetz
Neukietz
Neurüdnitz
Neuküstrinchen
Neutornow
Neuglietzen
Neuwustrow.
Die meisten Kolonisten wurden in den drei erstge-
nannten Dörfern, in Neubarnim,
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