Wanderungen durch die Mark Brandenburg
erheben ihre
Stimme zu Ehren der »Drei Kronen« oder der »Stadt
Berlin«, und die ersten Anfänge des Ciceronetums,
rätselhafte Gestalten in Hausröcken und Strohmüt-
zen, stellen sich schüchtern dem Neuankommenden
vor und erbieten sich, ihm die Schönheiten der Stadt
zu zeigen. Nur der fliegende Buchhändler fehlt noch,
der die »Schönheiten Freienwaldes«, besungen und
lithographiert, mit beredter Zunge anzupreisen ver-
stände.
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Freienwalde ist ein Badeort, eine Fremdenstadt, und
trägt es auf Schritt und Tritt zur Schau; was ihm
aber ein ganz eigentümliches Gepräge gibt, das ist
das, daß alle Bade- und Brunnengäste, alle Fremden,
die sich hier zusammenfinden, eigentlich keine
Fremden, sondern märkische Nachbarn, Fremde aus
nächster Nähe , sind. Dadurch ist der Charakter des Bades vorgeschrieben. Es ist ein märkisches Bad und zeigt als solches in allem jene Leichtbegnüglichkeit,
die noch immer einen Grundzug unseres märkischen
Wesens bildet. Und zwar mehr noch, einzelne Resi-
denzausnahmen zugegeben, als wir selber wissen.
Freienwalde ist kein Roulette- und Equipagenbad,
kein Bad des Rollstuhls und des galonierten Bedien-
ten, am wenigsten ein Bad der fünfmal gewechselten
Toilette. Der breite Stempel, den die echten und un-
echten Engländer seit fünfzig Jahren allen europäi-
schen Badeörtern aufzudrücken wußten, hier fehlt er
noch, hier ist der komplizierte »Breakfast-Tisch«
noch ein kaum geahntes Geheimnis, hier wird noch
gefrühstückt , hier sucht noch kein grüner und
schwarzer Tee die alte Herrschaft des Morgenkaffee
zu untergraben, hier herrscht noch die vaterländi-
sche Semmel und weiß nichts von Buttertoast und
Muffin, des Luftbrotes (aërated bread) und anderer
Neuerungen von jenseit des Kanals ganz zu
geschweigen.
Und einfach wie die Frühstücksfrage, so löst sich
auch die Frage des Kostüms. Der Shawl, der früher
eine Mantille, oder die Mantille, die früher ein Shawl
war, der Hut mit der neuen »Rüsche«, der Hand-
schuh, der dreimal durch die Brönnerprobe ging –
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hier haben sie noch Hausrecht, und das zwölf Jahr gediente Leihbibliothekenbuch, hier ruht es noch frei
und offen auf dem Antimakassar-Stuhl, mit der gan-
zen Unbefangenheit eines guten Gewissens. Nichts
von Hyperkultur, wenig von Komfort. Während über-
all sonst ein gewisser Kosmopolitismus die Eigenart
jener Städte, die das zweifelhafte Glück haben, »Ba-
deörter« zu sein, abzuschwächen oder ganz zu ver-
wischen wußte, ist Freienwalde eine märkische Stadt geblieben. Kein Wunder. Nicht der Welttourist, nur
die Mark selber kehrt hier zum Besuche bei sich ein .
Freienwalde, wie wir sahen, ist eine Bergstadt; kleine
Bergstädte aber sind selten die Stätten einer glän-
zenden Architektur. Die Häuser, überall ein »bestes
Plätzchen« suchend, schaffen mehr Gassen und Win-
kel als eigentliche Straßen, und das Beste, was wir
von Freienwalde zu sagen wissen, ist, daß es von
dem bedenklich-pittoresken Vorrechte derartiger
Bergstädte keinen allzu starken Gebrauch macht. Die
Budengasse, der Seidene Beutel, der Köter- oder
Rosmarinweg sind freilich Lokalitäten, die dem Klan-
ge ihres Namens so ziemlich gleichkommen, aber der
Marktplatz mit seiner kahlen Geräumigkeit macht
vieles wieder gut. Mehr als gut. Weite hier und Enge
dort hätten sich gegenseitig aushelfen können.
Die Schönheit der eigentlichen Stadt ist mäßig, ihr
Reiz liegt draußen auf den Bergen. Diesen Bergen
verdankt es alles, was es ist: von dort aus kommen
seine Quellen, und von dort aus gehen die Fernsich-
ten ins Land hinein. Wer nicht kommt, um hier die
Eisenquelle zu trinken, der kommt doch, um einen
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Blick in die »Märkische Schweiz« zu tun. Und diesen
Freienwalder Bergen, den Hütern, Wächtern und zum
Teil Ernährern der Stadt, schreiten wir jetzt zu.
Zunächst der Ruinenberg . Er erhebt sich unmittelbar im Rücken der Stadt und hat mit dem bekannten
Potsdamer »Brauhausberge« das eine gemein, daß
er, wie dieser, die älteste Aussichtsfirma und nach
Ansicht vieler auch noch immer die bestfundierte
repräsentiert. Er ist am leichtesten zu ersteigen. Das
ist eins, was ihn empfiehlt. Bequeme Terrassen bil-
den den Weg, so daß man die Höhe plaudernd er-
reicht, als erstiege man die Treppen eines Renais-
sanceschlosses. Der Blick vom Ruinenberg aus hat
nur in Front eine Bedeutung, wo man zunächst auf
die malerisch in der Tiefe
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