Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Stoff.
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Weiße Zwickelstrümpfe vollenden den Anzug, und
massive silberne Ohrgehänge sind beliebt.
Diese wendische Tracht nimmt sich höchst malerisch
aus und ist so ziemlich die kleidsamste unter allen
Nationaltrachten, die mir in den verschiedenen Teilen
Norddeutschlands vorgekommen sind. Es ist damit
kein übertriebenes Lob gespendet, da diese Trach-
ten, sosehr ich sie liebe und sosehr ich ihrer Konser-
vierung das Wort reden möchte, doch vielfach nichts
weniger als schön zu nennen sind. Oft sind sie ent-
schieden häßlich. Ich erinnere nur an die Altenburge-
rinnen, die wie steif ausgestopfte Bachstelzen ein-
herschreiten. Alle diese Nationaltrachten indes, ob
schön oder häßlich, sind meist sehr kostspielig zu
beschaffen, und dieser Umstand hat entschieden
mitgewirkt, der städtischen Mode, will sagen dem
billigeren Kattunkleide, den Eingang zu verschaffen.
Auch in Quilitz – das, nachdem es dem Staatskanzler
Fürsten Hardenberg als Dotation zugefallen war, den
Namen Neu-Hardenberg erhielt – würden wir
höchstwahrscheinlich einer Wandlung zum Modernen
hin begegnen, wenn nicht allerhand Rücksichten eine
künstliche Konservierung der alten Sitte herbeige-
führt hätten. Schon der Fürst-Staatskanzler selbst,
der ein feines Auge für derlei Dinge hatte, hielt dar-
auf, daß die Frauen und Mädchen des Dorfs in der
alten wendischen Tracht vor ihm erscheinen mußten,
und auch später noch haben alle Mägde, die den be-
vorzugten Dienst im Schloß antreten wollten, sich zu
Mieder, Kopftuch und Friesrock zu bequemen gehabt.
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Dem gesamten Oderbruch aber ist als Hinterlassenschaft aus der Zeit wendischer Tracht her das
schwarze seidene Kopftuch geblieben, das, jedem jugendlichen Gesichte gut stehend, die Oderbrüche-rinnen, zum Teil ziemlich unverdient, in den Ruf ge-
bracht hat, ganz besondere Schönheiten zu sein.
1. Über Charakter und Erscheinung der jetzt
noch in einigen Bruchdörfern vorkommenden
wendischen Bevölkerung schreibt man mir
aus einem dieser Dörfer: »Man gibt hier im
allgemeinen dem Charakter der wendischen
Bevölkerung vor dem der deutschen Kolonis-
ten den Vorzug. Die Wenden sind allerdings
schwerfällig, abergläubisch und geistig weni-
ger begabt als die ›Pfälzer‹ (die allgemeine
Bezeichnung für die Deutschen), aber an
Kraft, Fleiß und Ausdauer sind sie den Deut-
schen gleich, während sie dieselben an Treue
und Zuverlässigkeit übertreffen. Die Männer
haben ausdrucksvolle Gesichter, sind nicht
schön und mehr hager als beleibt; die Mäd-
chen und jungen Frauen hingegen zeigen vol-
lere Formen, frische Farben statt des Leder-
und Pergamentteints anderer Loch- und
Bruchgegenden und sind oft sehr hübsch; die
dunklen Augen voll Feuer und Leben.«
2. In neuerer Zeit hat sich ein geborener O-
derbrücher, der Lehrer Rubehn in Groß Neu-
endorf, der dankenswerten, aber freilich
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schwierigen Aufgabe unterzogen, der wendi-
schen Vorgeschichte des Oderbruchs nachzu-
spüren und Material dafür zu sammeln. Dies
Material, in das mir ein Blick gestattet war, ist
reich und instruktiv; der Sammler indes
scheint mir darin irrezugehn, daß er geneigt
ist, den Sprüchen und Sagen, deren er viele
zusammengetragen hat, ein größeres Alter
beizumessen, als ihnen zukommt. Mit ande-
ren Worten, er vermutet da Wendisch-
Ursprüngliches oder im Oderbruch Gewachse-
nes, wo nur Deutsch-Importiertes vorliegt.
Die Sagen, die ich seiner Mitteilung verdanke,
finden sich, fast ohne Ausnahme, in den Lan-
desteilen (Pfalz, Schwaben, Niedersachsen)
wieder, aus denen die Kolonisierung des O-
derbruchs erfolgte. Eine unter diesen Sagen
indes, wiewohl sicherlich ebenfalls deutsch,
mag um ihrer selbst willen einen Platz an die-
ser Stelle finden. Es ist das die Geschichte
von » Rotmützeken «:
Bei einem Reetzer Fischer vermietete sich
einst ein Knecht, der immer eine rote Mütze
trug, weshalb er im Dorf » Rotmützeken « ge-
nannt wurde. Alle Sonntag, wenn die andern
Leute zur Kirche gingen, stieg er auf den
Stallboden, wo allerlei kleine Männer, die
»Untererdschken«, zu ihm kamen und Spiel
und Lärm und lautes Lachen mit ihm vollführ-
ten. Wenn dann die Hausleute aus der Kirche
zurückkamen, kam »Rotmützeken« wieder
vom Stallboden herunter und war munter und
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guter Dinge. Das dauerte eine ganze Zeit,
wohl über Tag und Jahr. Eines Sonntags, es
war der Sonntag nach Weihnachten, stieg
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