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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Stoff.

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    Weiße Zwickelstrümpfe vollenden den Anzug, und
    massive silberne Ohrgehänge sind beliebt.
    Diese wendische Tracht nimmt sich höchst malerisch
    aus und ist so ziemlich die kleidsamste unter allen
    Nationaltrachten, die mir in den verschiedenen Teilen
    Norddeutschlands vorgekommen sind. Es ist damit
    kein übertriebenes Lob gespendet, da diese Trach-
    ten, sosehr ich sie liebe und sosehr ich ihrer Konser-
    vierung das Wort reden möchte, doch vielfach nichts
    weniger als schön zu nennen sind. Oft sind sie ent-
    schieden häßlich. Ich erinnere nur an die Altenburge-
    rinnen, die wie steif ausgestopfte Bachstelzen ein-
    herschreiten. Alle diese Nationaltrachten indes, ob
    schön oder häßlich, sind meist sehr kostspielig zu
    beschaffen, und dieser Umstand hat entschieden
    mitgewirkt, der städtischen Mode, will sagen dem
    billigeren Kattunkleide, den Eingang zu verschaffen.
    Auch in Quilitz – das, nachdem es dem Staatskanzler
    Fürsten Hardenberg als Dotation zugefallen war, den
    Namen Neu-Hardenberg erhielt – würden wir
    höchstwahrscheinlich einer Wandlung zum Modernen
    hin begegnen, wenn nicht allerhand Rücksichten eine
    künstliche Konservierung der alten Sitte herbeige-
    führt hätten. Schon der Fürst-Staatskanzler selbst,
    der ein feines Auge für derlei Dinge hatte, hielt dar-
    auf, daß die Frauen und Mädchen des Dorfs in der
    alten wendischen Tracht vor ihm erscheinen mußten,
    und auch später noch haben alle Mägde, die den be-
    vorzugten Dienst im Schloß antreten wollten, sich zu
    Mieder, Kopftuch und Friesrock zu bequemen gehabt.

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    Dem gesamten Oderbruch aber ist als Hinterlassenschaft aus der Zeit wendischer Tracht her das
    schwarze seidene Kopftuch geblieben, das, jedem jugendlichen Gesichte gut stehend, die Oderbrüche-rinnen, zum Teil ziemlich unverdient, in den Ruf ge-
    bracht hat, ganz besondere Schönheiten zu sein.

    1. Über Charakter und Erscheinung der jetzt
    noch in einigen Bruchdörfern vorkommenden
    wendischen Bevölkerung schreibt man mir
    aus einem dieser Dörfer: »Man gibt hier im
    allgemeinen dem Charakter der wendischen
    Bevölkerung vor dem der deutschen Kolonis-
    ten den Vorzug. Die Wenden sind allerdings
    schwerfällig, abergläubisch und geistig weni-
    ger begabt als die ›Pfälzer‹ (die allgemeine
    Bezeichnung für die Deutschen), aber an
    Kraft, Fleiß und Ausdauer sind sie den Deut-
    schen gleich, während sie dieselben an Treue
    und Zuverlässigkeit übertreffen. Die Männer
    haben ausdrucksvolle Gesichter, sind nicht
    schön und mehr hager als beleibt; die Mäd-
    chen und jungen Frauen hingegen zeigen vol-
    lere Formen, frische Farben statt des Leder-
    und Pergamentteints anderer Loch- und
    Bruchgegenden und sind oft sehr hübsch; die
    dunklen Augen voll Feuer und Leben.«

    2. In neuerer Zeit hat sich ein geborener O-
    derbrücher, der Lehrer Rubehn in Groß Neu-
    endorf, der dankenswerten, aber freilich

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    schwierigen Aufgabe unterzogen, der wendi-
    schen Vorgeschichte des Oderbruchs nachzu-
    spüren und Material dafür zu sammeln. Dies
    Material, in das mir ein Blick gestattet war, ist
    reich und instruktiv; der Sammler indes
    scheint mir darin irrezugehn, daß er geneigt
    ist, den Sprüchen und Sagen, deren er viele
    zusammengetragen hat, ein größeres Alter
    beizumessen, als ihnen zukommt. Mit ande-
    ren Worten, er vermutet da Wendisch-
    Ursprüngliches oder im Oderbruch Gewachse-
    nes, wo nur Deutsch-Importiertes vorliegt.
    Die Sagen, die ich seiner Mitteilung verdanke,
    finden sich, fast ohne Ausnahme, in den Lan-
    desteilen (Pfalz, Schwaben, Niedersachsen)
    wieder, aus denen die Kolonisierung des O-
    derbruchs erfolgte. Eine unter diesen Sagen
    indes, wiewohl sicherlich ebenfalls deutsch,
    mag um ihrer selbst willen einen Platz an die-
    ser Stelle finden. Es ist das die Geschichte
    von » Rotmützeken «:
    Bei einem Reetzer Fischer vermietete sich
    einst ein Knecht, der immer eine rote Mütze
    trug, weshalb er im Dorf » Rotmützeken « ge-
    nannt wurde. Alle Sonntag, wenn die andern
    Leute zur Kirche gingen, stieg er auf den
    Stallboden, wo allerlei kleine Männer, die
    »Untererdschken«, zu ihm kamen und Spiel
    und Lärm und lautes Lachen mit ihm vollführ-
    ten. Wenn dann die Hausleute aus der Kirche
    zurückkamen, kam »Rotmützeken« wieder
    vom Stallboden herunter und war munter und

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    guter Dinge. Das dauerte eine ganze Zeit,
    wohl über Tag und Jahr. Eines Sonntags, es
    war der Sonntag nach Weihnachten, stieg

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