Wanderungen durch die Mark Brandenburg
liegende Stadt, dann über
die Türme und Dächer hinweg in die duftige Frische
der Bruchlandschaft herniederblickt. Wie ein Bottich
liegt diese da, durchströmt von drei Wasserarmen:
der Faulen, Alten und Neuen Oder, und eingedämmt
von Bergen hüben und drüben, die, wie ebenso viele
Dauben, die grüne Tiefe umstehn. Meilenweit nur
Wiesen; keine Fruchtfelder, keine Dörfer, nichts als
Heuschober, dicht und zahllos, die, immer kleiner
und grauer werdend, am Horizonte endlich zu einer
weidenden Herde zusammenzuschrumpfen scheinen.
Nur Wiesen, nur grüne Fläche; dazwischen einige
Kropfweiden; mal auch ein Kahn, der über diesen
oder jenen Arm der Oder hingleitet, dann und wann
ein mit Heu beladenes Fuhrwerk oder ein Ziegeldach,
dessen helles Rot wie ein Lichtpunkt auf dem Bilde
steht. Der Anblick ist schön in seiner Art, und wessen
Auge krank geworden in Licht und Staub und all dem
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Blendwerk großer Städte, der wird hier Genesung
feiern und dies Grün begrüßen, wie ein Durstiger
einen Quell begrüßt. Aber der Anblick, so erlabend er
ist, erleidet doch Einbuße durch seine Monotonie.
Erst weiter südwärts, nach Frankfurt zu, verändert
das Bruch seinen Charakter, erweitert ihn und
schafft ein Bild voll Schönheit und Fruchtbarkeit, wie
es die Mark in dieser Vereinigung nicht zum zweiten
Male besitzt.
Der Ruinenberg blickt weit ins Bruch hinein. Wodurch
er sich indessen von den Nachbarbergen am wesent-
lichsten unterscheidet, das ist der schon erwähnte
Blick auf das ihm zu Füßen liegende Freienwalde.
Außerdem hat er seine historischen Traditionen, Er-
innerungen, denen wir es nicht zum Bösen anrech-
nen wollen, daß sie sich in sagenhafte Vorzeit verlie-
ren. Es hat dies folgenden Zusammenhang. Bei
Nachgrabungen, die im Spätherbst 1820 hier ange-
stellt wurden, stieß man, etwa vier Fuß tief unter der
Erde, auf Fundamente, die nach sorglicher Ausmes-
sung eine Länge von 136 Fuß ergaben. Es war just
die Zeit, wo man hierlandes, über das »wendische
Interregnum« hinaus, alles auf Langobarden- und
Semnonentum zurückzuführen trachtete. Und das
Badecomité, wie alle Badecomités, stand natürlich
auf der Höhe seiner Zeit. Die Folge davon war, daß
seitens desselben das 136 Fuß lange Fundament oh-
ne weiteres als die Seitenwand eines Freyja-Tempels
festgestellt und, zwei Fliegen mit einer Klappe schla-
gend, jeder Streit über »Freienwalde« oder »Frey-
enwalde« ein für allemal zugunsten der letzteren
Version entschieden wurde. Das Fundament selbst
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aber, alsbald ans Licht geschafft, erfuhr eine doppel-
te Verwendung. Die eine Hälfte ward als Mauer-
bruchstück aufgerichtet und erhielt eine Tafel mit der
Geschichte der Auffindung des Freyja-Tempels, wäh-
rend die andere Hälfte, ebenfalls nach Sitte der Zeit,
als künstlicher »Ruinenturm« in eine neue Phase des
Daseins trat. Inschrift: »Wie schön ist Gottes Erde.«
Unser nächster Besuch gilt dem Ziegenberg , früher
»Zickenberg«, der sich jedoch an seiner einfachen
Erhebung ins Hochdeutsche nicht genügen ließ und
in einen »Monte Caprino« verwandelt wurde. Von
seiner Höhe blickt man ebenfalls in die Bruchland-
schaft hinein, aber die Stadt im Vordergrunde fehlt.
Dies mag uns Veranlassung geben, die sich um Frei-
enwalde herumgruppierenden Bergpartien auf ihre
Formation hin ein wenig näher anzusehen. Ihre Ei-
gentümlichkeit besteht nämlich darin, daß sie, wie-
wohl frei und offen daliegend, doch zugleich einen
sehr exklusiven Charakter haben und untereinander, wenigstens landschaftlich, in gar keiner oder sehr
geringer Verbindung stehn. Wir beschreiben diese
hufeisenförmigen Täler vielleicht am besten, wenn
wir sie als ebenso viele Amphitheater bezeichnen. Da
alle diese Amphitheater am Bruche entlang liegen
und nach vorn hin geöffnet sind, so ist der Blick auf
das Bruch das allen Gemeinsame ; alles das aber, was sie von rechts und links her mit ihren Flanken
umspannen, ist ihre jedesmalige Spezialität und
kann nur von den verschiedenen Plätzen des eignen,
nicht aber von den Plätzen des angrenzenden Amphi-
theaters aus gesehen werden.
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Wenn wir den Ruinenberg die »älteste Firma« nann-
ten, so ist der Monte Caprino die jüngste. Professor
Valentini, manchem unsrer Leser aus alten Berliner
Tagen her bekannt, hat dem Städtchen, in das er
sich zurückzog, diesen Berg erobert und die höchste
Kuppe desselben in die Liste der
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