Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Lärm einer Wassermühle lockt. Dort sind
wir willkommen. Wir nehmen Platz neben der Tür,
und die Steinbrücke vor uns, unter der hinweg der
Mühlbach schäumt, pickende Hühner um uns her und
Sommerfäden in der Luft, so rasten wir und plaudern
von Falkenberg und seinen Bewohnern.
Falkenberg ist doppellebig. Seine Natur bringt das so
mit sich, und während es die Wiesen zu einem
Bruchdorfe machen, machen es die Berge mit ihren
Quellen und schattigen Plätzen zu einem Brunnen-
und Badedorf. Im Einklang mit dieser Doppellebigkeit
unterscheiden wir denn auch einen Sommer- und
einen Winter-Falkenberger.
Der Winter-Falkenberger oder der Falkenberger au-
ßerhalb der Saison ist ein ganz anderer wie der Sommer-Falkenberger oder der Falkenberger in der Saison. Der Winter-Falkenberger ist ganz Märker,
das heißt ein Norddeutscher mit starkem Beisatz von
wendischem Blut. Er ist fleißig, ordentlich, strebsam, aber mißtrauisch, eigensinnig und zu querulieren
geneigt. Hört man ihn selbst darüber sprechen, so
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hat er freilich recht. Die Heuwirtschaft bleibt doch
immer die Hauptsache für ihn, das Fundament seines
Wohlstandes, und seine Wiese, dies Stück Bruchland,
ist mit Abgaben überbürdet. »Die Verwallung«, so
hebt der Winter-Falkenberger an, »hat uns Gutes
gebracht, aber auch viel Böses. Sonst stand das
Wasser auf unsern Wiesen, und wir hatten eine unsi-
chere oder auch gar keine Heuernte; jetzt haben wir
die Eindeichung und bringen unser Heu trocken her-
ein, aber wir müssen für den Deich, der uns schützt,
eine so hohe Abgabe oder Beisteuer zahlen, daß
mancher schon gedacht hat: ohne Deich wär es bes-
ser. Unser ganzes Unglück ist, daß sie ›da oben‹ die
Abgaben und die Beisteuer ungerecht verteilen. Die
Herren von der Regierung sagen: ›Wir haben den
Damm gebaut und das Oderbruch trockengelegt. Wo
wir das Bruch von vielem Wasser befreit haben, da
muß auch viel gezahlt werden, und wo wir es von
wenig Wasser befreit haben, da wird auch nur wenig
bezahlt.‹ Das klingt sehr schön und sehr gerecht, ist
aber Ungerechtigkeit von Anfang bis Ende. Hier bei
uns stand das Wasser alle Frühjahr am höchsten, elf
Fuß hoch und drüber, während es in andern Teilen
des Bruches, und zwar in den besten und reichsten,
nur einen Fuß hoch stand. Was geschieht nun? Wir
müssen das Elffache bezahlen, denn man hat uns ja
von der elffachen Wassermasse befreit. Aber über-
schwemmtes Land ist überschwemmtes Land, und es
ist ganz gleich, ob das Wasser einen Fuß oder elf Fuß
hoch auf Wiese und Acker gestanden hat.«
So der Winter-Falkenberger. Ich habe ihm anfänglich
alles geglaubt und ihn wochenlang als ein Opfer des
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Deichverbandes oder gar einer Regierungslaune an-
gesehen, bis ich schließlich mich überzeugt habe,
daß das »wendische Blut« ihn doch auf falsche Wege
geführt und ihn bitterer und eigensinniger gemacht
hat als nötig. Die Sache ist nämlich die: Bruchlände-
reien, in denen das Wasser vordem elf Fuß hoch zu
stehen pflegte, genossen das traurige Vorrecht, alle Jahre überschwemmt zu werden, während Ländereien mit einem Fuß Wasser jahrelang von jeder Überschwemmung befreit blieben. Ein Fuß Wasser oder elf Fuß Wasser ist freilich gleichgültig, aber die Elf-Fuß-Wasser-Leute hatten eben das Wasser immer ,
während es die Ein-Fuß-Wasser-Leute vielleicht nur
alle elf Jahre hatten. Müssen aber doch alljährlich ihre Beisteuer zahlen.
Der Winter-Falkenberger ist märkisch , der Sommer-Falkenberger ist thüringisch , eine Art Ruhlenser: freundlich, gebildet, entgegenkommend. Der Vorü-
bergehende bietet guten Tag, gibt Auskunft, zeigt
den Weg. Überall gute Form und gute Sitte, eine
»Manierlichkeit«, wie sie sonst in den Marken, zumal
in den Odergegenden, nicht leicht betroffen wird.
Diese Manierlichkeit ist freilich zum guten Teil etwas
bloß Angenommenes, aber doch nicht allein. Der
modelnde Einfluß, den die Wohnstätte des Menschen
auf den Menschen selber übt, zeigt sich auch hier.
Die Falkenberger, solange sich ihr Auge nur auf Was-
ser und Wiese richtete, blieben wendisch-märkische
Fischersleute von altem, etwas gröblichem Schrot
und Korn; von dem Augenblick an aber, wo sie sich
um die Sommerzeit ihren Bergen zuwandten, begann
auch der Anblick des Schönen den Formensinn zu
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bilden, die Sitte zu modeln, und unter dem Einfluß
einer so nah gelegenen und doch so spät erst ent-
deckten
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