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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Lärm einer Wassermühle lockt. Dort sind
    wir willkommen. Wir nehmen Platz neben der Tür,
    und die Steinbrücke vor uns, unter der hinweg der
    Mühlbach schäumt, pickende Hühner um uns her und
    Sommerfäden in der Luft, so rasten wir und plaudern
    von Falkenberg und seinen Bewohnern.
    Falkenberg ist doppellebig. Seine Natur bringt das so
    mit sich, und während es die Wiesen zu einem
    Bruchdorfe machen, machen es die Berge mit ihren
    Quellen und schattigen Plätzen zu einem Brunnen-
    und Badedorf. Im Einklang mit dieser Doppellebigkeit
    unterscheiden wir denn auch einen Sommer- und
    einen Winter-Falkenberger.
    Der Winter-Falkenberger oder der Falkenberger au-
    ßerhalb der Saison ist ein ganz anderer wie der Sommer-Falkenberger oder der Falkenberger in der Saison. Der Winter-Falkenberger ist ganz Märker,
    das heißt ein Norddeutscher mit starkem Beisatz von
    wendischem Blut. Er ist fleißig, ordentlich, strebsam, aber mißtrauisch, eigensinnig und zu querulieren
    geneigt. Hört man ihn selbst darüber sprechen, so

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    hat er freilich recht. Die Heuwirtschaft bleibt doch
    immer die Hauptsache für ihn, das Fundament seines
    Wohlstandes, und seine Wiese, dies Stück Bruchland,
    ist mit Abgaben überbürdet. »Die Verwallung«, so
    hebt der Winter-Falkenberger an, »hat uns Gutes
    gebracht, aber auch viel Böses. Sonst stand das
    Wasser auf unsern Wiesen, und wir hatten eine unsi-
    chere oder auch gar keine Heuernte; jetzt haben wir
    die Eindeichung und bringen unser Heu trocken her-
    ein, aber wir müssen für den Deich, der uns schützt,
    eine so hohe Abgabe oder Beisteuer zahlen, daß
    mancher schon gedacht hat: ohne Deich wär es bes-
    ser. Unser ganzes Unglück ist, daß sie ›da oben‹ die
    Abgaben und die Beisteuer ungerecht verteilen. Die
    Herren von der Regierung sagen: ›Wir haben den
    Damm gebaut und das Oderbruch trockengelegt. Wo
    wir das Bruch von vielem Wasser befreit haben, da
    muß auch viel gezahlt werden, und wo wir es von
    wenig Wasser befreit haben, da wird auch nur wenig
    bezahlt.‹ Das klingt sehr schön und sehr gerecht, ist
    aber Ungerechtigkeit von Anfang bis Ende. Hier bei
    uns stand das Wasser alle Frühjahr am höchsten, elf
    Fuß hoch und drüber, während es in andern Teilen
    des Bruches, und zwar in den besten und reichsten,
    nur einen Fuß hoch stand. Was geschieht nun? Wir
    müssen das Elffache bezahlen, denn man hat uns ja
    von der elffachen Wassermasse befreit. Aber über-
    schwemmtes Land ist überschwemmtes Land, und es
    ist ganz gleich, ob das Wasser einen Fuß oder elf Fuß
    hoch auf Wiese und Acker gestanden hat.«
    So der Winter-Falkenberger. Ich habe ihm anfänglich
    alles geglaubt und ihn wochenlang als ein Opfer des

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    Deichverbandes oder gar einer Regierungslaune an-
    gesehen, bis ich schließlich mich überzeugt habe,
    daß das »wendische Blut« ihn doch auf falsche Wege
    geführt und ihn bitterer und eigensinniger gemacht
    hat als nötig. Die Sache ist nämlich die: Bruchlände-
    reien, in denen das Wasser vordem elf Fuß hoch zu
    stehen pflegte, genossen das traurige Vorrecht, alle Jahre überschwemmt zu werden, während Ländereien mit einem Fuß Wasser jahrelang von jeder Überschwemmung befreit blieben. Ein Fuß Wasser oder elf Fuß Wasser ist freilich gleichgültig, aber die Elf-Fuß-Wasser-Leute hatten eben das Wasser immer ,
    während es die Ein-Fuß-Wasser-Leute vielleicht nur
    alle elf Jahre hatten. Müssen aber doch alljährlich ihre Beisteuer zahlen.
    Der Winter-Falkenberger ist märkisch , der Sommer-Falkenberger ist thüringisch , eine Art Ruhlenser: freundlich, gebildet, entgegenkommend. Der Vorü-
    bergehende bietet guten Tag, gibt Auskunft, zeigt
    den Weg. Überall gute Form und gute Sitte, eine
    »Manierlichkeit«, wie sie sonst in den Marken, zumal
    in den Odergegenden, nicht leicht betroffen wird.
    Diese Manierlichkeit ist freilich zum guten Teil etwas
    bloß Angenommenes, aber doch nicht allein. Der
    modelnde Einfluß, den die Wohnstätte des Menschen
    auf den Menschen selber übt, zeigt sich auch hier.
    Die Falkenberger, solange sich ihr Auge nur auf Was-
    ser und Wiese richtete, blieben wendisch-märkische
    Fischersleute von altem, etwas gröblichem Schrot
    und Korn; von dem Augenblick an aber, wo sie sich
    um die Sommerzeit ihren Bergen zuwandten, begann
    auch der Anblick des Schönen den Formensinn zu

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    bilden, die Sitte zu modeln, und unter dem Einfluß
    einer so nah gelegenen und doch so spät erst ent-
    deckten

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