Wanderungen durch die Mark Brandenburg
in
Zweifel. Natürlich überlassen wir den in Riemen hän-
genden »Fond« seinem Schicksal und setzen uns auf
das Vorderbrett unmittelbar neben den Flausrock,
nicht gewillt, eine zweifelhafte Bequemlichkeit auf
Kosten besserer Unterhaltung zu erkaufen. Denn es
unterhält sich schlecht auf den Rücken anderer Leute
los.
Noch einmal ein Peitschenknips, diesmal nicht in die
Luft, sondern in die Weichen des Einspänners, und
über das Straßenpflaster hin, das noch die alten Tra-
ditionen des Ortes wahrt, holpert und rasselt unser
Wagen, dessen Hintersitz die komischsten Sprünge
macht, in den Freienwalder Kiez hinein, bis plötzlich
das Holpern und Rasseln einem süßen Gefühl der
Glätte und jenem leis knirschenden Tone weicht, den
jeder kennt, der aus dem Sturm und Drang schlecht
gepflasterter Straßen in den stillen Hafen einer
Lehm- und Kieschaussee eingemündet ist.
Der Abend ist schön, und Duft und Nebel steigen aus
den Wiesengründen auf. Der Wald zur Linken steht,
wie es im Liede heißt, »schwarz und schweigend«,
und nur vor uns, nach Nordwesten zu, glüht noch der
Abendhimmel in wunderbaren Farbenspielen durch
die Nebelschleier hindurch. Es ist just die Stunde, um
den Schloßberg und die Burg der Uchtenhagen zu
besuchen, denn die Landschaft selbst erscheint wie
ein weit aufgetanes Tor, um uns rot und golden in
das Land der Sage einzuführen.
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Es labt uns das Bild und die Frische des Abends, aber
endlich haben wir abgeschlossen mit der Landschaft
und fühlen ein leises Unbehagen über das Schweigen
unseres Führers, an dessen Seite wir doch Platz ge-
nommen um bequemerer Unterhaltung willen. Die
vordersten Hügelpartien liegen bereits hinter uns,
wir müssen bald halben Weges sein, aber er
schweigt noch immer. Da der Berg nicht zum Pro-
pheten kommt, so bleibt nichts anderes übrig als das
alte Auskunftsmittel, und blindlings in die allerbe-
quemste Form der Unterhaltung hineintappend, be-
ginn ich mit der Frage:
»Sagen Sie, wie denken Sie über die Uchtenha-
gens?«
Der Angeredete läßt sich Zeit, und zweimal mit der
Leine klatschend, um die lange Pause minder auffäl-
lig zu machen, antwortet er endlich in absichtlich
unbestimmten Ausdrücken:
»Ja, da ist viel.«
Und so rollen wir weiter in den stillen Abend hinein,
dessen allerstillste Stelle unser Wagen zu werden
droht. Ich will aber dies Schweigen unterbrechen, es
koste, was es wolle, und so fahr ich denn fort:
»Es soll hier eine große Schlacht gewesen sein. Hier
hinter den Bergen. Ich glaube, sie nennen es das
›rote Land‹.«
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Er nickte mit dem Kopfe.
»Nun sagen Sie mir: Ist denn das Land noch immer
rot?«
»So rot«, antwortete er halb wie im Echo und mach-
te dabei eine Handbewegung, als ob er sagen wollte:
»Lieber Herr, sprechen wir davon lieber nicht.«
Nichtsdestoweniger hatte diese Frage das Eis gebro-
chen, ich sah es an seiner veränderten Haltung, und
mit der Rechten auf die quadratmeilenweite Umge-
bung deutend, fuhr ich fort: »Sie müssen sehr reich
gewesen sein... Ich meine die Uchtenhagens.«
Er sah unter seinem Mützenschirm zu mir auf, ein
halb wehmütiges Lächeln flog über sein Gesicht, und
er wiederholte auch jetzt nur meine Worte: »... sehr reich... sehr !«
Es war ersichtlich, daß er einen Nachsatz machen
wollte, ihn aber rücksichtsvoll verschwieg. Ich kam
ihm also auf halbem Wege entgegen und ergänzte:
»Sehr reich; aber wie ?«
Dies Wort schien ihm Gewißheit zu geben, daß ich
einer von dem romantischen Geheimbund sein müs-
se, der nach Art anderer Geheimbünde zwar seine
nicht ausgesprochenen, aber nichtsdestoweniger
ganz bestimmten Erkennungszeichen hat. Er wußte
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nun, daß er sprechen dürfe, ohne Furcht vor Profa-
nation.
Und er wartete auch keine weitere Frage ab, rückte
vielmehr vertraulich näher und sagte: »Wissen Sie
denn, was sich die Kiezer hier erzählen? Da war hier
in Freienwalde, in der Uchtenhagenschen Zeit, ein
Böttcher, der wohnte neben dem Kirchhof und hieß
Trampe. Das Wasser stand damals bis an die Stadt
heran, und zwischen Trampes Haus und dem Wasser
lag bloß der Kirchhof. Eines Nachts hörte nun Tram-
pe ein Knurren und Winseln, und er trat ans Fenster,
um zu sehen, was es sei. Er sah aber nichts als den
Vollmond, der am Himmel stand. Er legte sich also
wieder nieder und warf sich eben auf die rechte Sei-
te, da hörte er seinen Namen rufen: ›Trampe‹, drei-
mal. Und dann
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