Wanderungen durch die Mark Brandenburg
voll Kampf und
Gefahr, voll Freiheit und Übermut, ähnlich dem, das
uns alte Balladen und Volksgesänge als das Leben
Robin Hoods, dieses unerreichten Vorbilds poetischen
Wald- und Räuberlebens, geschildert haben; aber
unser Jagow trug doch schwer daran, denn es zog
ihn unter die Menschen und in die Nähe des Mark-
grafen zurück, und seine Seele trachtete mehr und
mehr nach einer Gelegenheit, sich die Gunst seines
Herrn, den er liebte, neu zu erwerben. Und diese
Gelegenheit bot sich endlich. Es kam zu einem Krie-
ge mit den Pommern, und um Freienwalde herum
stießen die Heere des Pommernherzogs und des
Markgrafen aufeinander. Man focht Mann gegen
Mann (collato pede, wie der Chronist erzählt), und
der Sieg neigte sich schon den Pommern zu, als Ja-
gow aus der Waldestiefe mit seinen Geächteten her-
vorbrach. Er faßte den Feind im Rücken, und nach
tapferer Gegenwehr wandten sich die Pommern zur
Flucht, der Oder zu, die jedoch nur von wenigen er-
reicht wurde. Die Mehrzahl färbte den Boden mit
ihrem Blut. Und die Stelle, wo das Blut floß, heißt bis diesen Tag das »rote Land«. Jagow aber, vor den
Markgrafen geführt, wurde mit dem Lande belehnt,
auf dem er so glücklich gekämpft hatte, und emp-
fing, auf daß sein Name nicht fürder mehr an alte
Zeit und alten Groll erinnere, den Namen Uchtenha-
gen , weil er »uht dem Hagen«, das heißt aus dem 962
Walde, zu seiner, des Markgrafen, Rettung herbeige-
kommen war.
Soweit die Sage, von der ich annehmen möchte, daß
sie der Klasse der bloß aus dem Namen hergeleiteten
Zurechtmachungen, also jenen nachträglichen Erfin-
dungen angehört, an denen das siebzehnte und noch
mehr das achtzehnte Jahrhundert auf dem Gebiete
der Adelsgeschichte so fruchtbar war.
Aber das mangelnde historische Fundament soll uns
nicht undankbar machen gegen die Sage selbst, die,
sie sei jung oder alt, verwirrend oder die rechten
Wege führend, um ihrer selbst willen ihre Berechti-
gung hat. Wir überlassen uns deshalb, eh wir in das
Gebiet der Geschichte eintreten, auch im weiteren
noch ihrer Führung und erfahren von ihr mit der ihr
eigenen Bestimmtheit, daß es der Schloßberg war, auf dem sich die erste und älteste Burg der Uchtenhagen erhob.
Und diesem Schloßberg , ohne längeres Verweilen, gilt jetzt unser Besuch.
Wir haben Freienwalde mit der Nachmittagspost er-
reicht und einem jener Cicerones, die den Posthof zu
umstehen pflegen, vertraulich mitgeteilt, daß wir
noch vor Sonnenuntergang oder doch vor dem He-
reinbrechen vollständiger Dunkelheit den Schloßberg
zu sehen wünschten, zu Fuß, wenn möglich, zu Wa-
gen, wenn nötig. Da in den Cicerones von Freienwal-
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de gemeinhin mehrere Ämter kumulieren, mindes-
tens aber die Metiers des Führers und des Fuhr-
manns zusammentreffen, so ist die Antwort selbst-
verständlich, und nach einer halben Stunde rollt ein
Einspänner vor, der nicht voll bis in die Zeit der Uch-
tenhagens zurückreicht, aber doch beinah. Der Hin-
tersitz ist leer; auf dem Vordersitz befindet sich der
Führer selbst, nunmehr als Kutscher, und knipst mit
der Peitsche, um sich in seinem neuen Amte zu be-
glaubigen. Er trägt einen hellgrauen Flausrock, dazu
eine schwarze Tuchmütze, deren Schirm halb über
sein Gesicht fällt. Was auf den ersten Blick über-
rascht, ist, daß er nicht raucht. Aber freilich, jene
sonderbare Klasse von Personen, der er zugehört
und von der jedes Dorf oder jedes Ackerstädtchen
wenigstens ein Exemplar aufzuweisen hat, raucht
nie. Es sind dies die Träger der Volkspoesie, die Sa-
genhüter, die Märchenerzähler des Nordens. Sie sind
gutgeartet, redselig und schweigsam zugleich, lieben
die Scholle, darauf sie geboren, haben einen Anflug
von Kränklichkeit und wandern, halb bewundert und
halb belächelt, aber wegen ihrer Verträglichkeit
wohlgelitten, wie Fremdlinge zwischen ihrer derberen
Umgebung. Obwohl gelegentlich von einer überra-
schenden Scharfsinnigkeit, haben sie in den gewöhn-
lichen Fällen des Lebens doch nichts von jener Bau-
ernschlauheit, die sprüchwörtlich geworden ist. Das
Feld ihres Geistes ist von der Phantasie überwuchert,
und so gleichen sie jenem Acker, der zu schwach ist,
um ernste und solide Frucht zu tragen, aber, dem
schönen Unkraut Platz gönnend, desto üppiger in
roten und blauen Blumen steht.
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So auch unser Führer und Fuhrmann. Über den Platz,
den wir einzunehmen haben, sind wir nicht lange
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