Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Zeiten kamen, und in diesen stillen und
doch schweren Zeiten begann die Saite wieder zu
klingen, die in den Jahren sich drängender Erlebnisse
geschwiegen hatte. An der Drehbank, unter dem
Surren des Rades, fielen mit den phantastisch ge-
kräuselten Flocken auch wieder die ersten Lieder ab.
Sie fanden freundliche Hörer, bald auch Leser, und
jenen ersten Liedern sind seitdem andere gefolgt.
Wir wenden uns hier von unserm plaudernden
Freunde, nach dessen Mitteilungen wir diese Skizze
zu zeichnen versuchten, ab und statt dessen seinen
Liedern zu.
In seiner ersten Sammlung, die den fast allzu poeti-
schen Titel »Blumen der Wälder« führt, erblicken wir
ihn nicht auf seinem eigentlichsten Gebiet, über-
haupt aber mit einer Aufgabe beschäftigt, die
schwerlich jemals von einem Dichter gelöst worden
ist. Es handelt sich in diesen Liedern um eine Ver-
herrlichung der Freienwalder Natur, und die ur-
sprüngliche Absicht des Dichters scheint auf nichts
Geringeres ausgegangen zu sein, als in einem wahr-
haft beängstigenden Drange nach Vollständigkeit
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jeder Kuppe, jedem landschaftlichen Punkt einen
poetischen Zettel umzuhängen. Das glückt aber nie.
Eine solche Aufgabe ist unpoetisch in sich, und in
derselben Weise, wie es unmöglich ist, auf sämtliche
Schiffe der englischen Flotte oder auf sämtliche Re-
gimenter der preußischen Armee einen Sonetten-
zyklus zu machen, so verbietet es sich auch, die
weitausgespannte Freienwalder Landschaft Nummer
für Nummer zu besingen. Der Verfasser scheint dies
schließlich auch selber empfunden und den zweiten,
bereits angekündigten Band, der weitere zwanzig
Lieder bringen sollte, glücklich unterschlagen zu ha-
ben.
Was diesen »Blumen der Wälder« indessen einen
Wert verleiht, das ist ein zufälliger, in gar keiner Beziehung zu dem übrigen Inhalt stehender Anhängsel,
worin der Dichter unserm Altmeister Friedrich Rü-
ckert seine Huldigung darbringt. Dies Lied nennt sich
»Meister Rückert und sein Lehrjunge« und ist ein
sehr glücklicher Griff. Es ist frisch, natürlich, originell. Der geschilderte Hergang aber ist der folgende:
Unser Freienwalder Freund hat vor, dem alten Rü-
ckert zu seinem siebzigsten Geburtstage in Versen
zu gratulieren. Er schickt Frau und Kinder möglichst
früh zu Bett und setzt sich bei der sprüchwörtlich
gewordenen »Poetenlampe« nieder, um Gedanken
und Reime zu Papier zu bringen. Aber auch Poeten-
lampen verzehren Öl, und die wackere Hausfrau
stellt endlich von ihrem Bett aus ziemlich einschnei-
dende Betrachtungen über diesen Gegenstand an.
Endlich, auf der Höhe des Konflikts, tritt unser Dich-
ter aus der Wolke des Geheimnisses heraus und er-
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klärt, um was es sich handle. Nun wendet sich das
Blatt. »Mit Vater Rückert ist das was andres«; über
unsere Poetenfrau kommt ein wahrer Opfermut, und
siehe da,
Als durchs Immergrün umschmückte
Niedre Werkstattfensterlein
Goldner Frühstrahl mich erquickte,
Schloß ihr Kranz mein Liedchen ein;
Schüchtern wag ich's darzubringen –
Vieler Lied wird heut dir klingen,
Sinn'ger alle wohl wie meins,
Inn'ger aber doch wohl keins.
Dies Lied weckte unserm Poeten viel Freunde, aber
was wichtiger ist, es stellte ihn und sein Talent an
den rechten Fleck. Er selbst schon, in dunkler Ah-
nung davon, hatte diesem Liede das Motto gegeben:
» Geh vom Häuslichen aus und verbreite dich, so gut du kannst, über die Welt.« Wie diese Worte Motto
seines Liedes gewesen waren, so wurden sie nun der
Leitstern für sein poetisches Schaffen überhaupt.
Das Haus und sein persönliches Erlebnis innerhalb desselben, vor allem seine blonde Frau, in ihrer
Schlichtheit und Tüchtigkeit, wurden der Mittelpunkt
seiner Dichtung, und mit innigem Gefühl konnte er
von jener singen:
Als Bestes wardst du mir gegeben,
Du, die nicht meine Lieder liest
Und dennoch Stoff aus ihrem Leben
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In jedes meiner Lieder gießt.
Ein neuer Geist kam in seine Produktion, das Ge-
zwungene fiel fort, das Natürliche trat an die Stelle,
und ein Jahr später konnte er der Welt seine erste
wirkliche Dichtung bieten. Sie führt den Titel »Die Braut des Handwerkers« und ist ein anmutiges Idyll,
das uns, in fünf Kapiteln, vom Morgen bis zum Abend
des Hochzeitstages geleitet. Alles, was uns ein Men-
schenherz lieb und wert machen kann, das klingt
hier zusammen: Genügsamkeit, kindlich-einfacher
Sinn, Liebe, Pietät und Gottvertrauen. Die
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