Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Eh-
renmännern in Untätigkeit gebannt, bring ich den
Sommer bei dem Herrn von Itzenplitz auf seinen
Gütern zu, in Kunersdorf bei Wriezen, und beschäfti-
ge mich allein mit Botanik, wozu ich die herrlichsten
Hülfen habe. Ich helfe hier übrigens auch den
Landsturm exerzieren , und kommt es zu einem Bau-ernkrieg, so kann ich mich wohl darein mischen –
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pro aris et focis. – Mit euch unterzugehen, will ich nicht verneinen .«1)
An Hitzig, Kunersdorf, Juni 1813:
»Ich arbeite immer an meinen Pflanzen, gehe mit
meinem Gärtner botanisieren, vergleiche meine Ka-
taloge, korrigiere die französischen Aufsätze der jun-
gen Leute, unterweise sie etwas in der Botanik... Das
war ein schwerer Mai (Lützen und Bautzen). Wie
klingt doch so seltsam mit einem Male in mir das
Wort Fouqués:
Im Mai, im Mai, im jüngsten Mai,
Wo alles Leben sonst geht auf,
Da ist des jungen Helden Lauf
Ganz wider Blumenart vorbei.
O Gott, möchte er es nicht von sich selber gesungen
haben! Grüß mir die Bekannten und Freunde, die Dir
in den Wurf kommen. Gott verzeihe mir meine Sün-
den; aber es ist wahr:
Das ist die schwere Zeit der Not,
Das ist die Not der schweren Zeit,
Das ist die schwere Not der Zeit,
Das ist die Zeit der schweren Not.
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Da hast Du ein Thema.«
An Hitzig (Kunersdorf; wahrscheinlich im Septem-
ber):
»... Du hast nichts weniger von mir erwartet als ein
Buch! Lies das Deiner Frau vor, heute abend, wenn
Du Zeit hast. Wenn sie neugierig wird zu erfahren,
wie es Schlemihl weiter ergangen, und besonders,
wer der Mann im grauen Kleide war, so schick mir
gleich morgen das Heft wieder, auf daß ich daran
schreibe – wo nicht, so weiß ich schon, was die Glo-
cke geschlagen hat. Vom dritten Kapitel ist das erst
der Anfang; dies und das folgende sind mir sehr be-
schwerlich – es stehen die Ochsen am Berge.«
An Hitzig (Kunersdorf, Spätherbst 1813):
»Dieses zur Erinnerung, daß Du einen Freund in Ku-
nersdorf hast, dem Du eben nicht sehr oft schreibst.
Es ist eine ganz fatale Empfindung, wenn alle Tage
der Postbote einläuft und die Austeilung der Briefe
im Salon geschieht und für einen jeden etwas da ist
und für den Herrn von Chamisso – nischt niche!
... Ich kratze immer an meinem ›Schlagschatten‹,
und, wenn ich's Dir gestehen muß, lache und fürchte
ich mich manchmal darüber, sowie ich daran schrei-
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be – wenn die andern nur für mich nicht darüber
gähnen. Mein viel gefürchtetes viertes Kapitel habe
ich mir, nach vielem Kauen, gestern aus einem Stü-
cke, wie eine Offenbarung, aus der Seele geschnitten
und heute abgeschrieben. Es ist auch schon eher
Morgen als Nacht, darum ade. Das Blitz-Prosa-
Schreiben wird mir ungeheuer sauer, mein Brouillon
sieht toller aus als alle Verse, die ich je gemacht.«
Bald nach diesem Briefe scheint Chamisso nach Ber-
lin zurückgekehrt zu sein. Es wird zwar in Kunersdorf
erzählt, er habe sich zunächst nach Nennhausen hin,
zu Fouqué, auf den Weg gemacht, um diesem seinen
»Schlemihl« vorzulesen; es liegen aber doch wohl
Monate dazwischen, da, wie wir aus dem letztzitier-
ten Briefe ersehen, bis etwa Mitte Oktober erst vier Kapitel von elf beendigt waren. Übrigens stand Fouqué damals auch wohl im Felde.
So waren die Erlebnisse von Schloß Kunersdorf, so
waren die Personen, die, während eines halben Jahr-
hunderts und darüber, dort kamen und gingen.
Wir durchschreiten jetzt zunächst die Zimmer und
Säle des Erdgeschosses und verweilen vor älteren
und neueren Familienportraits von zum Teil künstle-
rischem Interesse. Die Aufzeichnung dieser Bilder
aber für eine andere Gelegenheit vertagend, wenden
wir uns nunmehr dem im obern Stockwerk gelege-
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nen Bibliothekzimmer zu, wo wir zunächst den Bild-
nissen derer begegnen, die einst Freunde des Ku-
nersdorfer Hauses waren: Thaer, Wildenow, Alexan-
der von Humboldt, Reil etc. Was aber unser Interes-
se lebhafter in Anspruch nimmt, das ist ein großer
pultartiger Schrank, der in seinen verschiedenen
Kästen und Fächern alles das umschließt, was sich
auf den Generalmajor von Lestwitz bezieht. Das gan-
ze Arrangement erinnert mehr oder weniger an die
großen Glaskästen, in denen man in England (im
Britischen Museum, im Greenwich-Hospital, in Ab-
botsford etc.) allerhand Erinnerungsstücke an histo-
rische Persönlichkeiten, zum Beispiel an Nelson, Wal-
ter Scott oder Sir John Franklin, auszustellen pflegt.
Auch
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