Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Kellern einiger vor-
städtischer Bienenzüchter bemächtigt hatten.
Inzwischen rückte die feindliche Hauptkolonne nach,
und schon um zwölf Uhr nachts schloß Oberst In-
gersleben, ohne daß auch nur ein einziger Schuß
gefallen wäre, in einem außerhalb der Stadt gelege-
nen Hause die Kapitulation ab. Da derselbe kein
Amtssiegel mitgebracht hatte, so wurde das Siegel
der Färberinnung, das sich am raschesten beschaffen
ließ, herbeigeholt und auf diese burleske Weise der
Kapitulationsvertrag vollgültig gemacht.
Damit war der Verrat geübt. Es handelte sich aber
noch darum, diese Felonie den alten berühmten Ba-
taillonen auch annehmbar zu machen. Und das war
nicht leicht, denn Ingersleben kannte sehr wohl die
Gesinnungen des gemeinen Mannes. In der Tat re-
bellierte das Bataillon Oranien, als ihm die Kapitula-
tion endlich mitgeteilt wurde, so daß Ingersleben in
die Lage kam, zu seinem eigenen persönlichen
Schutz den Feind in Kähnen über die Oder herbeiho-
len zu müssen. Auch jetzt noch stand die Sache miß-
lich genug, denn ein am Geschütz postierter Artille-
rist hob, als er die heranschwimmenden Kähne sah,
1278
bereits die Lunte; aber ein Offizier von der Kapitula-
tionspartei hieb ihn mit dem Degen über die Hand
und rief: »Kerl, bist du des Teufels.« So landete
denn der Feind unangefochten, und Ingersleben
selbst ordnete die Waffenstreckung an. Wütend zer-
schlugen die Soldaten ihre Musketen und wurden
dann in die Kriegsgefangenschaft geführt. Viele ran-
zionierten sich übrigens und waren später mit unter
den Verteidigern von Kolberg.
Als dem Kaiser Napoleon einige Tage später die Ka-
pitulation zur Gutheißung vorgelegt wurde, strich er
eigenhändig den Paragraphen, der dem von Ingers-
leben den Eintritt in die französische Armee zusagte.
»Er könne einen Mann nicht brauchen, der seinen
Herrn verraten habe.« Durch ein preußisches Kriegs-
gericht wurde der Unwürdige später »zum Arquebu-
sieren« verurteilt, entzog sich aber der Urteilsvoll-
streckung durch Flucht und lebte noch jahrelang in
einem Winkel Deutschlands. Arm und ehrlos, mei-
dend und gemieden – das Los aller, die damals »ver-
sagt« hatten. Ob durch Schuld oder Schicksal, war
gleich.
Küstrin blieb länger als sieben Jahre in den Händen
der Franzosen; erst am 20. März 1814 wurde es an
ein preußisches Blockadecorps übergeben.
Manches hat es seitdem erfahren, auch als Festung.
Der Warthe, die vordem rechtwinkelig einmündete,
hat man einen zweckentsprechenderen Lauf gege-
ben, und ein Zirkel von Schanzen und Forts um-
spannt jetzt das alte Festungsviereck. Was sich aber
1279
dem Auge des Laien auch heute noch als »Festung Küstrin« darstellt, das sind nach wie vor die sechs
alten Bastionen aus Markgraf Hansens Tagen her,
mit deren einer (»Bastion Brandenburg«) und ihrer nächsten Umgebung wir uns in dem zweiten Abschnitt dieses Kapitels zu beschäftigen haben wer-
den.
Die Katte-Tragödie
Stadt und Festung Küstrin haben eine fünfhundert-
jährige Geschichte, die zu skizzieren ich in vorste-
hendem bemüht gewesen bin. Nur über einen Tag
innerhalb dieses langen Zeitabschnitts: über den
6. November 1730, an dem das Haupt Kattes auf
Bastion Brandenburg fiel, bin ich hinweggegangen.
Und doch wiegt dieser Tag schwerer als die Gesamt-
summe dessen, was vorher und nachher an dieser
Stelle geschah, und mag als das Gegenstück zu dem
18. Juni 1675 gelten, zu dem »Tage von Fehrbellin«.
Mit diesen beiden Tagen, dem heiteren 18. Juni und
dem finsteren 6. November, beginnt unsere Großge-
schichte. Aber der 6. November ist der größere Tag,
denn er veranschaulicht in erschütternder Weise jene
moralische Kraft , aus der dieses Land, dieses gleich sehr zu hassende und zu liebende Preußen, erwuchs.
Es gibt kaum einen Abschnitt in unserer Historie, der
öfter behandelt worden wäre als die Katte-Tragödie .
Aber so viele Schilderungen mir vorschweben, das
1280
Ereignis selbst ist bisher immer nur auf den Kron-
prinzen Friedrich hin angesehen worden. Oder we-
nigstens vorzugsweise. Und doch ist der eigentliche
Mittelpunkt dieser Tragödie nicht Friedrich, sondern
Katte . Er ist der Held, und er bezahlt die Schuld.
Es ist meine Absicht, in nachstehendem dem die Eh-re zu geben, dem sie gebührt.
Und hierin wird sich meine Darstellung von der ande-
rer nicht unwesentlich unterscheiden, indem sie sich
eigens vorsetzt, von allem, was auf
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