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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Königin in Küstrin zusam-
    men und bezogen Quartier in einem am Markte bele-
    genen Gasthof (»Goldener Hirsch«). Am Tore der
    Festung waren sie von dem Obersten und Komman-
    danten von Ingersleben empfangen worden. Unter
    den unrühmlichen Festungskommandanten jener
    Epoche der unrühmlichste, weil der zweideutigste.
    Von dem, was den Soldaten macht und ehrt, besaß
    er nichts.
    »Ingersleben« – so schreibt General von der Mar-
    witz, eine Quelle, deren Zuverlässigkeit niemand
    beargwöhnen wird – »war seit dem Champagne-
    Feldzug von 1792 Ritter des Pour le mérite. Aber wie
    hatte er den Orden erhalten? Der König legte großen
    Wert darauf, kein Geschütz in dem aufgeweichten
    Kalkboden stehenzulassen. Eines Tages quälten sich
    die Artilleristen mit einer solchen Kanone, als das
    Regiment, bei welchem Ingersleben stand, vorüber-

    1275
    zog. Dieser saß auf einem seiner gewaltigen Gestalt
    angemessenen riesigen Braunen, der, aller Kriegs-
    strapazen unerachtet, noch sehr wohl im Stande
    war. Ingersleben hatte den König kaum gesehen, als
    er vom Pferde sprang und seinen Braunen in eines
    der Geschirre steckte. Wohlweislich aber ließ er den
    Sattel mit Pistolenhalfter und der großen goldge-
    stickten Paradeschabracke auf dem Rücken des Pfer-
    des. Und nun tat er sehr geschäftig, schrie, legte
    selbst Hand an und trieb so, daß die Kanone richtig
    aus dem Schlamm herauskam. Der König fragt'
    sogleich, wem das Pferd gehöre, und gab ihm den
    Orden. Ingersleben aber, als der König weit genug
    fort war, spannte seinen Braunen wieder aus, setzte
    sich auf und ließ die Kanone stehen. Später wurde er
    wegen üblen Betragens vor dem Feinde vom Re-
    gimente entfernt, bis ihn höfische Fürsprache zum
    Kommandanten von Küstrin machte.«
    Sein Adlatus war der Oberst von Weyher, ein hoch-
    mütiger, die Bürger und Soldaten gleichmäßig
    maltraitierender Bramarbas, dem die gesamte Fes-
    tungsgarnison unterstellt war. Diese bestand aus den
    Depotbataillonen dreier berühmter Regimenter: Prinz
    Heinrich, Prinz von Oranien (früher Markgraf Karl)
    und von Zenge. Dazu 500 Mann von der Festungsar-
    tillerie.
    König Friedrich Wilhelm der Dritte, der sich auf Men-
    schenbeurteilung sehr wohl verstand und nur die bis
    zur Schwäche gehende Bescheidenheit hatte, sich
    dem Urteil anderer, öfter als gut war, unterzuordnen,
    scheint der Tüchtigkeit oder dem guten Willen In-

    1276
    gerslebens von Anfang an mißtraut zu haben. Er ließ
    sich von ihm auf den Festungswällen umherführen
    und stellte bei dieser Gelegenheit die Frage: »Ob er
    sich's auch wirklich getraue«, worauf Ingersleben die
    berühmte Antwort gab: »er werde die Festung hal-
    ten, bis ihm das Schnupftuch in der Tasche brenne«.
    Von einzelnen Interpreten ist der bald darauf zutage
    tretende Verrat Ingerslebens auf dieses Gespräch
    zwischen ihm und dem Könige zurückgeführt und aus
    einem durch obige Frage, »ob er sich's auch get-
    raue«, beleidigten Ehrgefühl erklärt, die Tat selbst
    also als ein Racheakt hingestellt worden. Aber dies
    ist falsch, weil viel zu tief und ernsthaft genommen.
    Ein Mann, der eine Komödie wie die, die von der
    Marwitz erzählt, aufführen konnte, entbehrte solchen
    Ehrgefühls durchaus, und die Triebfedern seiner
    Handlungsweise sind entweder in Feigheit und Be-
    stechlichkeit oder günstigstenfalls in einer Art von
    Apathie zu suchen. Denn er gehörte zu den Leuten,
    die jeden Glauben an die Widerstands- oder auch nur
    an die Lebensfähigkeit Preußens verloren hatten. Sie spöttelten und freuten sich eigentlich dessen, was
    geschah. In den »Vertrauten Briefen« heißt es von
    Ingersleben, »daß er nichts als einen Magen gehabt
    habe«. Und dessen sollte das Land bald gewahr wer-
    den.
    Am 24. Oktober verließen König und Königin Küstrin,
    und am 31. erschienen 250 Franzosen an der Tor-
    schreiberbrücke, von der aus sie mit einem in der
    Nähe stehenden preußischen Piquet zu plänkeln be-
    gannen. Als der Kommandierende dieses Piquets um

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    Verstärkung bat, erhielt er die Antwort: »er (Ingers-
    leben) könne keine Leute aus der Festung lassen,
    weil sie alle davonlaufen würden «. So ging denn das Piquet zurück und beschränkte sich darauf, die Brü-
    ckenpfeiler in Brand zu stecken. Von den Wällen aus
    sah man die Franzosen am anderen Ufer promenie-
    ren, lachen und scherzen, wobei sie, wie zur Ver-
    spottung ihrer Gegner, die Finger in große Honigtöp-
    fe tauchten, deren sie sich in den

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