Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Königin in Küstrin zusam-
men und bezogen Quartier in einem am Markte bele-
genen Gasthof (»Goldener Hirsch«). Am Tore der
Festung waren sie von dem Obersten und Komman-
danten von Ingersleben empfangen worden. Unter
den unrühmlichen Festungskommandanten jener
Epoche der unrühmlichste, weil der zweideutigste.
Von dem, was den Soldaten macht und ehrt, besaß
er nichts.
»Ingersleben« – so schreibt General von der Mar-
witz, eine Quelle, deren Zuverlässigkeit niemand
beargwöhnen wird – »war seit dem Champagne-
Feldzug von 1792 Ritter des Pour le mérite. Aber wie
hatte er den Orden erhalten? Der König legte großen
Wert darauf, kein Geschütz in dem aufgeweichten
Kalkboden stehenzulassen. Eines Tages quälten sich
die Artilleristen mit einer solchen Kanone, als das
Regiment, bei welchem Ingersleben stand, vorüber-
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zog. Dieser saß auf einem seiner gewaltigen Gestalt
angemessenen riesigen Braunen, der, aller Kriegs-
strapazen unerachtet, noch sehr wohl im Stande
war. Ingersleben hatte den König kaum gesehen, als
er vom Pferde sprang und seinen Braunen in eines
der Geschirre steckte. Wohlweislich aber ließ er den
Sattel mit Pistolenhalfter und der großen goldge-
stickten Paradeschabracke auf dem Rücken des Pfer-
des. Und nun tat er sehr geschäftig, schrie, legte
selbst Hand an und trieb so, daß die Kanone richtig
aus dem Schlamm herauskam. Der König fragt'
sogleich, wem das Pferd gehöre, und gab ihm den
Orden. Ingersleben aber, als der König weit genug
fort war, spannte seinen Braunen wieder aus, setzte
sich auf und ließ die Kanone stehen. Später wurde er
wegen üblen Betragens vor dem Feinde vom Re-
gimente entfernt, bis ihn höfische Fürsprache zum
Kommandanten von Küstrin machte.«
Sein Adlatus war der Oberst von Weyher, ein hoch-
mütiger, die Bürger und Soldaten gleichmäßig
maltraitierender Bramarbas, dem die gesamte Fes-
tungsgarnison unterstellt war. Diese bestand aus den
Depotbataillonen dreier berühmter Regimenter: Prinz
Heinrich, Prinz von Oranien (früher Markgraf Karl)
und von Zenge. Dazu 500 Mann von der Festungsar-
tillerie.
König Friedrich Wilhelm der Dritte, der sich auf Men-
schenbeurteilung sehr wohl verstand und nur die bis
zur Schwäche gehende Bescheidenheit hatte, sich
dem Urteil anderer, öfter als gut war, unterzuordnen,
scheint der Tüchtigkeit oder dem guten Willen In-
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gerslebens von Anfang an mißtraut zu haben. Er ließ
sich von ihm auf den Festungswällen umherführen
und stellte bei dieser Gelegenheit die Frage: »Ob er
sich's auch wirklich getraue«, worauf Ingersleben die
berühmte Antwort gab: »er werde die Festung hal-
ten, bis ihm das Schnupftuch in der Tasche brenne«.
Von einzelnen Interpreten ist der bald darauf zutage
tretende Verrat Ingerslebens auf dieses Gespräch
zwischen ihm und dem Könige zurückgeführt und aus
einem durch obige Frage, »ob er sich's auch get-
raue«, beleidigten Ehrgefühl erklärt, die Tat selbst
also als ein Racheakt hingestellt worden. Aber dies
ist falsch, weil viel zu tief und ernsthaft genommen.
Ein Mann, der eine Komödie wie die, die von der
Marwitz erzählt, aufführen konnte, entbehrte solchen
Ehrgefühls durchaus, und die Triebfedern seiner
Handlungsweise sind entweder in Feigheit und Be-
stechlichkeit oder günstigstenfalls in einer Art von
Apathie zu suchen. Denn er gehörte zu den Leuten,
die jeden Glauben an die Widerstands- oder auch nur
an die Lebensfähigkeit Preußens verloren hatten. Sie spöttelten und freuten sich eigentlich dessen, was
geschah. In den »Vertrauten Briefen« heißt es von
Ingersleben, »daß er nichts als einen Magen gehabt
habe«. Und dessen sollte das Land bald gewahr wer-
den.
Am 24. Oktober verließen König und Königin Küstrin,
und am 31. erschienen 250 Franzosen an der Tor-
schreiberbrücke, von der aus sie mit einem in der
Nähe stehenden preußischen Piquet zu plänkeln be-
gannen. Als der Kommandierende dieses Piquets um
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Verstärkung bat, erhielt er die Antwort: »er (Ingers-
leben) könne keine Leute aus der Festung lassen,
weil sie alle davonlaufen würden «. So ging denn das Piquet zurück und beschränkte sich darauf, die Brü-
ckenpfeiler in Brand zu stecken. Von den Wällen aus
sah man die Franzosen am anderen Ufer promenie-
ren, lachen und scherzen, wobei sie, wie zur Ver-
spottung ihrer Gegner, die Finger in große Honigtöp-
fe tauchten, deren sie sich in den
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