Wanderungen durch die Mark Brandenburg
überhaupt, waren wiederum
die Liutizen , denen also die märkischen Wenden als 1594
wesentlicher Bruchteil zugehörten, die ausgedehn-
testen und mächtigsten. Mit ihnen stand und fiel die
Vormauer des Slawentums, und der beste, zuverläs-
sigste und wichtigste Teil der ganzen Wendenge-
schichte ist die Geschichte dieses Stammes, die Ge-
schichte der Liutizen . Schafarik sagt von ihnen: »Unter den polabischen, das heißt den an der Elbe woh-
nenden Slawen waren die Liutizen oder Lutizer oder
Weleten durch ihre Volksmenge und Streitbarkeit wie
durch ihre Ausdauer bei alten Sitten und Gebräuchen
die berühmtesten. Ihr Name wird in den deutschen
Annalen von Karl dem Großen bis zu ihrer völligen
Unterwerfung (1157) öfter denn irgendein anderer
Volksname genannt; er herrscht sogar in altdeut-
schen Sagen und Märchen. In russischen Volkssagen
wird er noch heutigentags vom Volke mit Schrecken
erwähnt.« Soweit Schafarik. Eh wir indessen zu einer
kurzgefaßten Geschichte der Liutizen überhaupt ü-
bergehn, schicke ich den Versuch einer politischen
Geographie des Liutizierlandes vorauf.
Die Liutizen, wie schon angedeutet, hatten ihre Sitze
nicht bloß in der Mark; einige ihrer hervorragendsten
Stämme bewohnten Neu-Vorpommern, noch andere
das heutige Mecklenburg-Strelitz. Sie lebten inner-
halb dieser drei Landesteile: Mark, Strelitz, Vorpom-
mern, in einer nicht genau zu bestimmenden Anzahl
von Gauen, von denen folgende die wichtigsten wa-
ren oder doch die bekanntesten gewesen sind.
In der Mark: die Brizaner in der Prignitz; die Moriza-ner in der Gegend von Leitzkau, Grabow, Nedlitz; die Stodoraner und Heveller in Havelland und Zauche; 1595
die Spriavaner im Teltow und Nieder-Barnim, also zu beiden Seiten der Spree; die Riezaner in der Nähe von Wriezen, am Rande des Oderbruches hin; die
Ukraner in der Nähe von Pasewalk.
In Pommern und Mecklenburg-Strelitz: die Kissiner in der Nähe von Güstrow; die Circipaner um Wolgast herum; die Dolenzer um Demmin und Stolp; die Ratarer oder Redarier zwischen Oberhavel, Peene und Tollense; die Woliner auf Wollin und Usedom; die Rujanen oder Ranen auf Rügen. Kleinere eingestreute Gaue waren: Sitna oder Ziethen; der Murizzi-Gau
am Müritz-See; der Dossaner Gau an der Dosse bei
Wittstock.
Unter allen diesen Völkerschaften, Stämmen und
Stämmchen, man könnte sie Clans nennen, waren
wohl die Ranen und die Redarier die wichtigsten,
beide als Hüter der zwei heiligsten Tempelstätten
Rethra1) und Arkona. Die Ranen außerdem noch aus-
gezeichnet als Seefahrer und siegreich über die Dä-
nen.
Die märkischen Wenden konnten nach dieser Seite
hin mit den Wenden in Pommern und Mecklenburg
nicht wetteifern, aber andrerseits fiel ihnen die Auf-
gabe zu, in den jahrhundertelangen Kämpfen mit
dem andringenden Deutschtum beständig auf der
Vorhut zu stehn, und in dem Mute, den die Spree-
und Havelstämme in diesen Kämpfen entwickelt ha-
ben, wurzelt ihre Bedeutung. Wenn die Ranen, und
namentlich auch die Redarier, wie ein Stamm Levi,
kirchlich vorherrschten, so prävalierten die märki-
1596
schen Wenden politisch. Brandenburg, das wir wohl
nicht mit Unrecht als den wichtigsten Punkt dieses
märkischen Wendenlandes ansehn, wurde neunmal
erobert und wieder verloren, siebenmal durch Sturm,
zweimal durch Verrat. Die Kämpfe drehten sich mehr
oder weniger um seinen Besitz.
Die ersten Berührungen mit der wendischen Welt,
mit den Volksstämmen zwischen Elbe und Oder, fan-
den unter Karl dem Großen statt; sie führten zu
nichts Erheblichem. Erst unter dem ersten Sachsen-
kaiser, Heinrich dem Finkler, wurde eine Unterwer-
fung der Wenden versucht und durchgeführt.
Diese Kämpfe begannen im Jahre 924 durch einen
Einfall Heinrichs in das Land der Stodoraner und
durch Wegnahme Brennabors. Dieser Wegnahme
folgten Aufstände der Redarier, Stodoraner und
Ukraner, woran sich dann neue deutsche Siege reih-
ten.
Es war eine endlos ausgesponnene Kette, in der je-
des einzelne Glied so Ursach wie Wirkung war. Die
deutsche Grausamkeit schuf wendische Aufstände,
und den wendischen Aufständen folgten erneute Nie-
derlagen, die, von immer neuen Grausamkeiten des
Siegers begleitet, das alte Wechselspiel wiederhol-
ten. So war es unter Kaiser Heinrich, und so war es
unter Otto dem Großen. Zweimal wurden die Wen-
den in blutigen Schlachten niedergeworfen, 920 bei
Lunkini (Lenzen)2), 935 am Dosa-Fluß (an der Dos-
se), aber
Weitere Kostenlose Bücher