Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Ma-nerstaub auf allen Ästen und Zweigen. Was war zu
tun? Gefahr war im Verzuge; der Besuch des Königs
stand nahe bevor. Da trat ein leuchtender Gedanke
auf die Lippe des einen der Geängstigten, und er
sprach: » Feuerwehr! « Sie kam, ganz still, ohne Ge-klingel, und mit kunstvoll gemäßigtem Strahl wusch
sie jetzt den Staub von dem schönen Baume ab, der
nun bald schöner und frischer dastand als je zuvor.
Er trieb neue Zweige, als ob er sagen wollte: »Wir
leben noch.«
Frisch und grün, wie der jüngsten einer, so steht er
wieder da, schön im Sommer, aber am schönsten in
Dezembernächten, wenn seine obere Hälfte sich un-
ter dem Schnee beugt, während unten die Zweige
wie unter einem Dache weitergrünen. Dies Schnee-
dach ist sein Schmuck und – sein Schutz. Das zeigte
sich vor einigen Jahren. Der Schnee lag so dicht auf
ihm, daß es schien, seine Oberzweige würden bre-
chen. Mißverstandene Sorgfalt fegte und kehrte den
Schnee herunter; da gingen im nächsten Sommer
einige jener Zweige aus, denen man mit dem
Schneedach ihr warmes Winterkleid genommen hat-
te.
1769
Aber er hat's überwunden und grünt in Frische wei-
ter, und wenn ihm wieder Gefahren drohen, so oder
so, möge unser Eibenbaum immer einen treuen
Freund haben, wie in alter Zeit.
Dies Vorstehende wurde im Herbst 1862 geschrie-
ben; in den Jahren, die seitdem vergangen sind,
sammelte ich Material über allerhand »alte Bäume«,
insonderheit auch über Eibenbäume , und ich lasse zunächst folgen, was ich darüber in Erfahrung brachte.
Die Eibe , so scheint es, steht auf dem Aussterbeetat der Schöpfung. Wie bekanntlich im Laufe der Jahrtausende ganze Tiergeschlechter von der Erde ver-
tilgt worden sind, so werden auch Baumarten ausgerottet oder doch nahezu bis zum Erlöschen gebracht.
Unter diesen steht die Eibe (Taxus baccata) mit in erster Reihe. Einst in den Wäldern von ganz Europa,
Nord und Süd, so häufig wie der Auerochs, das Elen-
tier, begegnet man ihr in unseren Tagen nur noch
ausnahmsweise. In Hecken und Spalieren trifft man
kleinere Exemplare allerdings noch an, am häufigs-
ten in Anlagen nach französischem Geschmack, aber
große, imponierende Exemplare sind selten. Vor der
waldvernichtenden Axt älterer Ansiedler und neuer
Industrieller haben sich nur einzelne knorrige Taxus-
bäume retten können, die jetzt, wo wir ihnen begeg-
nen, ein ähnliches Gefühl wecken wie die Ruinen auf
unseren Bergesgipfeln. Zeugen, Überbleibsel einer
längst geschwundenen Zeit.
1770
In Mitteldeutschland ist dieser Baum jetzt schon
recht selten, obwohl es bekannt ist, daß er hier, wie
in ganz Europa, noch vor einem halben Jahrtausend
allgemein vorkam. Zu Cäsars Zeiten war er, wie uns
dieser gelehrte Feldherr selbst erzählt, sowohl in
Gallien als in Germanien in großer Menge überall
anzutreffen. Man findet in Thüringen nur noch ein-
zelne verkrüppelte und verstümmelte Bäume. An
einem einzigen Orte jedoch haben sie sich zahlrei-
cher erhalten, nämlich am Veronikaberge bei Martin-
roda, unweit Ilmenau, wo noch zwanzig bis dreißig
Fuß hohe Individuen mit einem Stammdurchmesser
von ein bis eineinviertel Fuß stehen. Daß die Eibe in
Thüringen ehemals einen wesentlichen Bestandteil
der Wälder ausgemacht habe, ergibt sich aus den
Ortsnamen »Ibenhain«, »Taxberg«, »Eiba« und an-
deren.
Die ältesten und schönsten Exemplare dieses einst
auch in Griechenland und Italien häufig gewesenen
Nadelbaumes trifft man heutzutage noch in England
an, besonders auf Friedhöfen, wo einzelne auf mehr
als 2 000 Jahre geschätzte Stücke von prachtvollem
Ansehen sich finden.2) Der Taxus ist in England der
Baum der Trauer, wie die Zypresse in den Mittel-
meerländern und die Trauerweide in Deutschland.
»Albero della morte« nennen ihn übrigens auch die
heutigen Italiener.
Eine große, zum Teil noch nicht völlig aufgeklärte
Rolle spielte die Eibe in dem Mythus der germani-
schen und keltischen Völker, von der sich Nachklän-
ge noch in manchen bis heute üblichen Gebräuchen
1771
erhalten haben. Wie der deutsche Name Eibe von
dem gotischen aiw (ivi), ewig, herrührt, weil der
Baum immer grün ist, und das keltische Wort yw
(eiddew) dieselbe Wurzel hat, so war dieser während
des langen und schneereichen nordischen Winters im
frischen Blattschmuck prangende Baum in Britannien
und Skandinavien den ewigen Göttern geweiht. Die
Druiden hatten bei ihren
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