Wanderungen durch die Mark Brandenburg
schwieg wirklich. Über das weite Himmels-
gewölbe hin rollte der erste Donner. In den Wipfeln
1762
begann ein unheimliches Wehen, die obersten Spit-
zen brachen fast. »Rasch, rasch«, hieß es, »Lauf-
schritt«; alles drängte durcheinander, »sauve qui
peut«, und der Zug, der schon hielt, wurde im Sturm
genommen. In demselben Augenblick aber brach es
los; die Blitze fuhren nieder, das Gekrach überdröhn-
te das Gerassel des Zuges; wie ein Wolkenbruch fiel
der Regen.
Als wir eine Stunde später, im klapperigen Gefährt,
über die Alsenbrücke fuhren, auf den Tiergarten zu,
stand das Wasser in Lachen und Lanken. Wer um
diese Stunde vom Finkenkrug bis zur »Königseiche«
gewandert wäre, der hätte wohl den Brieselang gesehen wie vor tausend Jahren!
1. Diese Verse, wie ich nachträglich erfahre,
rühren nicht aus der Jahnschen Zeit her, son-
dern sind erst vor kaum zwanzig Jahren nie-
dergeschrieben und an der Brieselang-Eiche
befestigt worden. Das geschah an einem hei-
ßen Augustnachmittage 1862 durch zwei Mit-
glieder des kurz zuvor gegründeten Nauener
Turnvereins. Der eine dieser beiden Turner
hatte die Verse verfaßt, der andere die tech-
nische Niederschrift geliefert. Beide Turner
blieben seitdem vereint; sie dienten in dem-
selben Truppenteil der Garde: sie fochten am
3. Juli bei Königgrätz; und abermals an einem
heißen Augusttage, heißer als jener Wander-
tag, der sie acht Jahre vorher zur Königseiche
1763
geführt hatte, stürmten sie gemeinschaftlich
gegen St-Privat . Beide fielen schwerverwun-
det der eine durch den Schenkel, der andere
durch die Brust geschossen; beide sind gene-
sen.
Der Eibenbaum im Parkgarten des
Herrenhauses
Die Eibe
Schlägt an die Scheibe.
Ein Funkeln
Im Dunkeln.
Wie Götzenzeit, wie Heidentraum
Blickt ins Fenster der Eibenbaum.
Nicht voll so alt wie die Brieselang-Eiche, von der ich im letzten Kapitel erzählt habe, aber doch auch ein
alter oder sehr alter Baum ist die Eibe , die in dem Parkgarten hinter dem Herrenhause steht. Von ihr
will ich, einschaltend, an dieser Stelle erzählen.
Der Stamm dieses Baumes, wie es seiner Art 1) in den Marken keinen zweiten gibt, ist etwa mannsdick, und
die Spannung seiner fast den Boden berührenden
1764
Zweige wird dreißig Fuß sein. Die Höhe beträgt we-
nig mehr. Aus der Dicke des Stammes hat man das
Alter des Baumes berechnet. Man kennt Taxusbäu-
me, die nachweisbar 200 bis 300 Jahre alt sind; die-
se sind wesentlich kleiner und schwächer als der
Baum, von dem ich hier spreche. Man kennt ferner
einen Taxusbaum (bei Fürstenstein in Schlesien), der nachweisbar 1 000 Jahr alt ist, und dieser eine ist um ein gut Teil höher und stärker als der unsrige.
Dies läßt für diesen auf ein Alter von 500 bis
700 Jahren schließen, und das wird wohl richtig sein.
Dieser unser Taxusbaum war vor hundert oder hun-
dertzwanzig Jahren eine Zierde unseres Tiergartens , der damals bis an die Mauerstraße ging. Als später
die Stadt in den Tiergarten hineinwuchs, ließ man in
den Gartenstücken der nach und nach entstehenden
Häuser einige der schönsten Bäume stehen, ganz in
derselben Weise, wie man auch heute noch verfah-
ren ist, wo man die alten Elsen und Eichen von
»Kemperhof« wenigstens teilweise den Villen und
Gärten der Viktoriastraße belassen hat.
Unser Taxusbaum, jahrhundertelang ein Tiergarten-
baum, wurde, ohne daß er sich vom Fleck gerührt
hätte, in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
ein Garten baum. Und noch etwa zwanzig Jahre spä-
ter tritt er aus seiner bis dahin dunklen Vergangen-
heit in die Geschichte ein.
Zu Anfang dieses Jahrhunderts gehörten Haus und
Garten dem Generalintendanten von der Recke, der
öfters von den königlichen Kindern, zumal vom
1765
Kronprinzen, dem späteren König Friedrich Wil-
helm IV., Besuch empfing. Der Kronprinz liebte die-
sen von der Reckeschen Garten ganz ungemein; es
wurde ein bevorzugter Spielplatz von ihm, und der
alte Taxusbaum mußte herhalten zu seinen ersten
Kletterkünsten. Der Prinz vergaß das dem alten Ei-
benbaume nie. Wer überhaupt dankbar ist, ist es
gegen alles, Mensch oder Baum. Vielleicht regte sich
in dem phantastischen Gemüte des Knaben auch
noch ein anderes; vielleicht sah er in dem schönen,
fremdartigen Baume einen Fremdling, der unter
märkischen Kiefern Wurzel gefaßt; vielleicht war er
mit den Hohenzollern selbst ins Land gekommen,
und es wob sich
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