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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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angeklebten Streifen Papier
    verkürzen dem Glaser sein Recht und seinen Ver-
    dienst; das Holzgitter, das das Haupt- und Nebenge-
    bäude umzieht, ist wohlerhalten, und der junge

    1815
    Baum, der in der Nähe der Haustür steht, hat seinen
    Pfosten, daran er sich lehnt, und seinen Bast, der ihn
    hält. Überall ein Geist mäßiger Ordnung, mäßiger
    Sauberkeit, überall das Bestreben, sich nach der De-
    cke zu strecken und durch Fleiß und Sparsamkeit
    sich weiterzubringen, aber nirgends das Bedürfnis,
    das Schöne, das erhebt und erfreut, in etwas ande-
    rem zu suchen als in der Neuheit eines Anstrichs
    oder in der Geradlinigkeit eines Zauns. Man will kei-
    ne Schwalbe am Sims – sie bringen Ungeziefer; man
    will keinen Efeu am Haus – er schädigt das Mauer-
    werk; man will keine Zierbäume in Hof und Garten –
    sie machen feucht und halten das Licht ab; man will
    nicht Laube, nicht Veranda – was sollte man damit?
    Nützlichkeit und Nüchternheit herrschen souverän
    und nehmen der Erscheinung des Lebens allen Reiz
    und alle Farbe. Grün und gelb und rot wechseln die
    Häuser und liegen doch da wie eingetaucht in ein
    allgemeines, trostloses Grau.
    Den kläglichsten Anblick aber gewähren die soge-
    nannten Vergnügungsörter. Man erschrickt bei dem
    Gedanken, daß es möglich sein soll, an solchen Plät-
    zen das Herz zu erlaben und zu neuer Wochenarbeit
    zu stärken. Wie Ironie tragen einige die Inschrift:
    »Zum freundlichen Wirt«. Man glaubt solcher In-
    schrift nicht. Wer könnte freundlich sein in solcher
    Behausung und Umgebung? An der Eingangstür hän-
    gen zwei Wirtshausschildereien, bekannte Genrebild-
    szenen, die mehr an die Götzen und Kunstzustände
    der Sandwichs-Inseln als an die Nachbarschaft Ber-
    lins erinnern, und als einziger Anklang an Spiel und
    Heiterkeit zieht sich am Holzgitter des Hauses eine

    1816
    Kegelbahn entlang, deren kümmerliches und aus-
    gebleichtes Lattenwerk dasteht wie das Skelett eines
    Vergnügens.
    Auf halbem Wege nach Tegel sind wir endlich bis an
    die letzten Ausläufer der Stadt gelangt, und eine
    Tannenheide beginnt, die uns, ziemlich ununterbro-
    chen, bis an den Ort unserer Bestimmung führt.
    Noch ein weiter freier Platz, der nach links hin einen
    Blick auf den See und das Dörfchen Tegel gestattet,
    dann eine Wassermühle, hübsch, wie alle Wasser-
    mühlen, und eine Ahorn- und Ulmenallee liegt süd-
    lich vor uns, an deren entgegengesetztem Ende wir
    bereits die hellen Wände von Schloß Tegel schimmern sehen.

    Schloß Tegel, ursprünglich ein Jagdschloß des Gro-
    ßen Kurfürsten, kam, wenige Jahre nach dem Huber-
    tusburger Frieden, in Besitz der Familie Humboldt.
    Alexander Georg von Humboldt, einem adeligen
    pommerschen Geschlechte angehörig, das im Fürs-
    tentum Cammin und im Neustettiner Kreise seine
    Besitzungen hatte, brachte es im Jahr 1765 durch
    Kauf an sich.1) 1767 wurde Wilhelm, 1769 Alexander
    von Humboldt geboren, aber nicht in Tegel, sondern in Berlin, wo der Vater aller Wahrscheinlichkeit nach
    in Garnison stand. Nach dem Tode der Eltern wurde
    Schloß und Rittergut Tegel gemeinschaftliches Eigen-
    tum der beiden Brüder und blieb es, bis es im
    Jahr 1802 in den alleinigen Besitz Wilhelms von
    Humboldt, der damals Gesandter in Rom war, über-

    1817
    ging. Alexander von Humboldt hat sich immer nur
    besuchsweise in Schloß Tegel aufgehalten, und die
    historische Bedeutung des Orts wurzelt überwiegend
    in der vieljährigen Anwesenheit Wilhelms von Humboldt daselbst, der die letzten fünfzehn Jahre seines
    Lebens (von 1820 bis 1835), zurückgezogen von Hof
    und Politik, aber in immer wachsender Vertrautheit
    mit der Muse und den Wissenschaften, auf dieser
    seiner Besitzung zubrachte.
    Die Kunstschätze, die Schloß Tegel bis diesen Au-
    genblick umschließt, gehören, wie ich bei Aufzählung
    derselben noch weiter hervorheben werde, nicht un-
    wesentlichen Teils in das Gebiet des Familienport-
    raits. Wilhelm von Humboldt selbst, seine Gemahlin,
    seine drei Töchter (jüngerer, in Rom verstorbener
    Kinder zu geschweigen) haben alle, sei es in Stein
    oder Farbe, eine so mannigfache Darstellung gefun-
    den, daß es nötig sein wird, behufs besserer Orien-
    tierung, dem Leser einen kurzen Überblick über die
    Familienverhältnisse Wilhelms von Humboldt zu ge-
    ben.
    Wilhelm von Humboldt war mit Karoline Friederike
    von Dacheröden (geboren am 23. Februar 1766, ge-
    storben am 26. März 1829) vermählt. Aus dieser Ehe
    wurden ihm, mit

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