Wanderungen durch die Mark Brandenburg
angeklebten Streifen Papier
verkürzen dem Glaser sein Recht und seinen Ver-
dienst; das Holzgitter, das das Haupt- und Nebenge-
bäude umzieht, ist wohlerhalten, und der junge
1815
Baum, der in der Nähe der Haustür steht, hat seinen
Pfosten, daran er sich lehnt, und seinen Bast, der ihn
hält. Überall ein Geist mäßiger Ordnung, mäßiger
Sauberkeit, überall das Bestreben, sich nach der De-
cke zu strecken und durch Fleiß und Sparsamkeit
sich weiterzubringen, aber nirgends das Bedürfnis,
das Schöne, das erhebt und erfreut, in etwas ande-
rem zu suchen als in der Neuheit eines Anstrichs
oder in der Geradlinigkeit eines Zauns. Man will kei-
ne Schwalbe am Sims – sie bringen Ungeziefer; man
will keinen Efeu am Haus – er schädigt das Mauer-
werk; man will keine Zierbäume in Hof und Garten –
sie machen feucht und halten das Licht ab; man will
nicht Laube, nicht Veranda – was sollte man damit?
Nützlichkeit und Nüchternheit herrschen souverän
und nehmen der Erscheinung des Lebens allen Reiz
und alle Farbe. Grün und gelb und rot wechseln die
Häuser und liegen doch da wie eingetaucht in ein
allgemeines, trostloses Grau.
Den kläglichsten Anblick aber gewähren die soge-
nannten Vergnügungsörter. Man erschrickt bei dem
Gedanken, daß es möglich sein soll, an solchen Plät-
zen das Herz zu erlaben und zu neuer Wochenarbeit
zu stärken. Wie Ironie tragen einige die Inschrift:
»Zum freundlichen Wirt«. Man glaubt solcher In-
schrift nicht. Wer könnte freundlich sein in solcher
Behausung und Umgebung? An der Eingangstür hän-
gen zwei Wirtshausschildereien, bekannte Genrebild-
szenen, die mehr an die Götzen und Kunstzustände
der Sandwichs-Inseln als an die Nachbarschaft Ber-
lins erinnern, und als einziger Anklang an Spiel und
Heiterkeit zieht sich am Holzgitter des Hauses eine
1816
Kegelbahn entlang, deren kümmerliches und aus-
gebleichtes Lattenwerk dasteht wie das Skelett eines
Vergnügens.
Auf halbem Wege nach Tegel sind wir endlich bis an
die letzten Ausläufer der Stadt gelangt, und eine
Tannenheide beginnt, die uns, ziemlich ununterbro-
chen, bis an den Ort unserer Bestimmung führt.
Noch ein weiter freier Platz, der nach links hin einen
Blick auf den See und das Dörfchen Tegel gestattet,
dann eine Wassermühle, hübsch, wie alle Wasser-
mühlen, und eine Ahorn- und Ulmenallee liegt süd-
lich vor uns, an deren entgegengesetztem Ende wir
bereits die hellen Wände von Schloß Tegel schimmern sehen.
Schloß Tegel, ursprünglich ein Jagdschloß des Gro-
ßen Kurfürsten, kam, wenige Jahre nach dem Huber-
tusburger Frieden, in Besitz der Familie Humboldt.
Alexander Georg von Humboldt, einem adeligen
pommerschen Geschlechte angehörig, das im Fürs-
tentum Cammin und im Neustettiner Kreise seine
Besitzungen hatte, brachte es im Jahr 1765 durch
Kauf an sich.1) 1767 wurde Wilhelm, 1769 Alexander
von Humboldt geboren, aber nicht in Tegel, sondern in Berlin, wo der Vater aller Wahrscheinlichkeit nach
in Garnison stand. Nach dem Tode der Eltern wurde
Schloß und Rittergut Tegel gemeinschaftliches Eigen-
tum der beiden Brüder und blieb es, bis es im
Jahr 1802 in den alleinigen Besitz Wilhelms von
Humboldt, der damals Gesandter in Rom war, über-
1817
ging. Alexander von Humboldt hat sich immer nur
besuchsweise in Schloß Tegel aufgehalten, und die
historische Bedeutung des Orts wurzelt überwiegend
in der vieljährigen Anwesenheit Wilhelms von Humboldt daselbst, der die letzten fünfzehn Jahre seines
Lebens (von 1820 bis 1835), zurückgezogen von Hof
und Politik, aber in immer wachsender Vertrautheit
mit der Muse und den Wissenschaften, auf dieser
seiner Besitzung zubrachte.
Die Kunstschätze, die Schloß Tegel bis diesen Au-
genblick umschließt, gehören, wie ich bei Aufzählung
derselben noch weiter hervorheben werde, nicht un-
wesentlichen Teils in das Gebiet des Familienport-
raits. Wilhelm von Humboldt selbst, seine Gemahlin,
seine drei Töchter (jüngerer, in Rom verstorbener
Kinder zu geschweigen) haben alle, sei es in Stein
oder Farbe, eine so mannigfache Darstellung gefun-
den, daß es nötig sein wird, behufs besserer Orien-
tierung, dem Leser einen kurzen Überblick über die
Familienverhältnisse Wilhelms von Humboldt zu ge-
ben.
Wilhelm von Humboldt war mit Karoline Friederike
von Dacheröden (geboren am 23. Februar 1766, ge-
storben am 26. März 1829) vermählt. Aus dieser Ehe
wurden ihm, mit
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