Wanderungen durch die Mark Brandenburg
andere Wege – Schloß Oranien-
burg war vergessen.
1802 wurde der prächtige alte Bau, dessen zahlrei-
che Deckengemälde allein ein bedeutendes, wenn
auch freilich totes Kapital repräsentierten, für
12 000 Taler mit all und jeglichem Zubehör verkauft
und der Käufer nur zur Herausgabe der eingangs
erwähnten vier Jaspis- und vier Marmorsäulen (im
Treppenhause) verpflichtet. Schloß Oranienburg
wurde eine Kattunmanufaktur . Wo die Edeldamen
auf Tabourets von rotem Damast gesessen und der
Vorlesung des alten Pöllnitz gelauscht hatten, wäh-
rend die Königinmutter Goldfäden aus alten Brokaten
zog, klapperten jetzt die Webstühle und lärmte der
alltägliche Betrieb. Aber noch tristere Tage kamen,
Krieg und Feuer, bis endlich in den zwanziger Jahren
ein chemisches Laboratorium, eine Schwefelsäure-
fabrik , hier einzog. Die Schwefeldämpfe ätzten und beizten den letzten Rest alter Herrlichkeit hinweg.
Ich entsinne mich der Jahre, wo ich als Kind dieses
Weges kam und von Platz und Brücke aus ängstlich
nach dem unheimlichen alten Bau herüberblickte,
der, grau und verkommen, in Qualm und Rauch da-
1807
lag wie ein Gefängnis oder Landarmenhaus, aber
nicht wie der Lieblingssitz Friedrichs I.
Nun ist das alte Schloß der Kolben und Retorten wie-
der los und ledig, und frisch und neu, beinahe sonn-
täglich, blickt es drein. Aber es ist das moderne Al-
lerweltskleid, das es trägt; die Borten und Kanten
sind abgetrennt, und der Königsmantel ist ein Bür-
gerrock geworden. Noch wenige Wochen, und das
alte Schloß von ehedem wird neue Gäste empfan-
gen: wie Schloß Köpenick ist es bestimmt, als Schul-lehrerseminar in sein drittes Jahrhundert einzutreten. Sei es. In den neuen Bewohnern wird wenigs-
tens ein Bewußtsein davon zu wecken sein, welcher
Stelle sie angehören, und leise berührt von der
Macht und dem Zauber historischer Erinnerungen,
werden sie später den Namen und die Geschichte
Schloß Oranienburgs in ihre Berufskreise mit hin-
übernehmen.
Unter den Linden des Gasthofes, während der Som-
merwind die Tropfen von den Bäumen schüttelte,
hab ich dem Leser die Geschichte des alten Schlos-
ses erzählt, die Bilder aufgerollt seines Glanzes und
seines Verfalls. Die Frage bleibt noch übrig: Haben
die letzten hundert Jahre alles zerstört? Haben Krieg
und Feuer, Retorte und Siedepfanne von dem alten
Glanze kein Bestehen übriggelassen? Ist alles hin,
bis auf die letzte Spur? Der Pietät des hohen Herrn,
der nun vorm Altar seiner Friedenskirche in Frieden
ruht, der Pietät Friedrich Wilhelms IV., dem es so oft
zum Verbrechen angerechnet wurde, daß er das
wahren wollte, was des Wahrens wert war, diesem
1808
hohen Liebessinne, der auf das Erhalten gerichtet war, haben wir allein es zu danken, daß wir der aufgeworfenen Frage mit einem »Nein« entgegentreten
können – es ist nicht alles hin, es existieren noch Spuren, gerettete Überbleibsel aus alter Zeit her,
und ihnen gilt zum Schluß unser Besuch.
Wir verweilen nicht bei zerstreuten Einzelheiten, die
da, wo sie zufällig verlorengingen, auch zufällig auf-
gelesen und in die Wand oder den Fußboden, als wär
es ein Relief- oder Mosaikstück, eingelegt wurden –
wir gehen an diesen Einzelheiten ohne Aufenthalt
vorüber und treten in den nach West und Norden zu
gelegenen Hinterflügel ein, wo wir noch einer zu-
sammenhängenden Zimmerreihe aus der Zeit König
Friedrichs I. begegnen. Daraus, daß das vorzüglichs-
te dieser Zimmer an den vier Ecken des Plafonds mit
ebenso vielen Sternen des Hosenbandordens ge-
schmückt ist auf dessen Besitz König Friedrich I. ei-
nen ganz besonders hohen Wert legte, würde sich
mit einiger Bestimmtheit ableiten lassen, wann die-
ser Teil des Schlosses ausgebaut wurde. Es sind
sechs Zimmer, von denen zunächst zwei durch ihre
Ausschmückung unser Interesse in Anspruch neh-
men. Sie bilden die beiden Grenzpunkte der ganzen
Reihe, so daß das eine (das kleinere) dem corps
de logis, also dem Mittelpunkte des Schlosses zu
gelegen ist, während das andere am äußersten Ende
des Flügels liegt und den Blick ins Freie auf Fluß und
Wiesen hat. Das kleinere Zimmer bildete entweder
einen Teil der seinerzeit vielberühmten und von Tou-
risten jener Epoche oft beschriebenen Porzellangale-
rie oder war ein Empfangs- und Gesellschaftszim-
1809
mer, wo die fürstlichen Personen unter Herzuziehung
ihres Hofstaats den Tee einzunehmen pflegten.
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