Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
eben am Hause vorüber, auf die Havelbrücke
    zu und in die Vorstadt hinein; hinter den Musikanten
    allerlei Volk. Was ist es? »Das Theater fängt an; die
    Stadtkapelle macht sich auf den Weg, um mit dabei-

    1812
    zusein.« Und wir lesen jetzt erst den Theaterzettel,
    der, in gleicher Höhe mit uns, an einen der Baum-
    stämme geklebt ist. »Das Testament des Großen
    Kurfürsten, Schauspiel in fünf Aufzügen.« Wir lieben
    das Stück, aber wir kennen es, und während die
    Sonne hinter Schloß und Park versinkt, ziehen wir es
    vor, in Bilder und Träume gewiegt, auf »Schloß Ora-
    nienburg« zu blicken, eine jener wirklichen Schaubühnen, auf der die Gestalten jenes Stücks mit ih-
    rem Haß und ihrer Liebe heimisch waren.

    Tegel

    Die Hoffnung –
    Sie wird mit dem Greis nicht begraben.

    Havelabwärts von Oranienburg, schon in Nähe Span-
    daus, liegt das Dorf Tegel, gleich bevorzugt durch
    seine reizende Lage wie durch seine historischen
    Erinnerungen. Jeder kennt es als das Besitztum der
    Familie Humboldt. Das berühmte Brüderpaar, das
    diesem Fleckchen märkischen Sandes auf Jahrhun-
    derte hin eine Bedeutung leihen und es zur Pilger-
    stätte für Tausende machen sollte, ruht dort gemein-
    schaftlich zu Füßen einer granitenen Säule, von de-
    ren Höhe die Gestalt der »Hoffnung« auf die Gräber
    beider herniederblickt.

    1813
    Wer seinen Füßen einigermaßen vertrauen kann, tut
    gut, Berlin als Ausgangspunkt genommen, die ganze
    Tour zu Fuß zu machen. Die erste Hälfte führt durch
    die volkreichste und vielleicht interessanteste der
    Berliner Vorstädte, durch die sogenannte Oranien-
    burger Vorstadt, die sich, weite Strecken Landes be-deckend, aus Bahnhöfen und Kasernen, aus Kirchhö-
    fen und Eisengießereien zusammensetzt. Diese vier
    heterogenen Elemente drücken dem ganzen Stadtteil
    ihren Stempel auf; das Privathaus ist eigentlich nur
    insoweit gelitten, als es jenen vier Machthabern
    dient. Leichenzüge und Bataillone mit Sang und
    Klang folgen sich in raschem Wechsel oder begegnen
    einander; dazwischen gellt der Pfiff der Lokomotive,
    und über den Schloten und Schornsteinen weht die
    bekannte schwarze Fahne. Hier befinden sich, neben
    der Königlichen Eisengießerei, die großen Etablisse-
    ments von Egells und Borsig, und während dem Vo-
    rübergehenden die endlose Menge der zugehörigen
    Bauten imponiert, verweilt er mit Staunen und Freu-
    de zugleich bei dem feinen Geschmack, bei dem Sinn
    für das Schöne, der es nicht verschmäht hat, hier in
    den Dienst des Nützlichen zu treten.
    So zieht sich die Oranienburger Vorstadt bis zur Pan-
    kenbrücke; jenseits derselben aber ändert sie Na-
    men und Charakter. Der sogenannte »Wedding« be-
    ginnt, und an die Stelle der Fülle, des Reichtums, des
    Unternehmungsgeistes treten die Bilder jener prosai-
    schen Dürftigkeit, wie sie dem märkischen Sande
    ursprünglich eigen sind. Kunst, Wissenschaft, Bil-
    dung haben in diesem armen Lande einen schwere-
    ren Kampf gegen die widerstrebende Natur zu führen

1814
    gehabt als vielleicht irgendwo anders, und in gestei-
    gerter Dankbarkeit gedenkt man jener Reihenfolge
    organisatorischer Fürsten, die seit anderthalb Jahr-
    hunderten Land und Leute umgeschaffen, den Sumpf
    und den Sand in ein Fruchtland verwandelt und die
    Roheit und den Ungeschmack zu Sitte und Bildung
    herangezogen haben. Aber die alten, ursprünglichen
    Elemente leben noch überall, grenzen noch an die
    Neuzeit oder drängen sich in die Schöpfungen der-
    selben ein, und wenige Punkte möchten sich hierlan-
    des finden, die so völlig dazu geeignet wären, den
    Unterschied zwischen dem Sonst und Jetzt, zwischen
    dem Ursprünglichen und dem Gewordenen zu zei-
    gen, als die Stadtteile diesseits und jenseits des
    Panke-Flüßchens, das wir soeben überschritten ha-
    ben.
    Die Oranienburger Vorstadt in ihrer jetzigen Gestalt
    ist das Kind einer neuen Zeit und eines neuen Geis-
    tes; der »Wedding« aber, der nun vor und neben uns
    liegt, ist noch im Einklang mit dem alten nationalen
    Bedürfnis, mit den bescheideneren Anforderungen
    einer früheren Epoche gebaut. Was auf fast eine hal-
    be Meile hin diesen ganzen Stadtteil charakterisiert,
    das ist die völlige Abwesenheit alles dessen, was
    wohltut, was gefällt. In erschreckender Weise fehlt
    der Sinn für das Malerische . Die Häuser sind meist in gutem Stand; nirgends die Zeichen schlechter Wirtschaft oder des Verfalls; die Dachziegel weisen keine
    Lücke auf, und keine

Weitere Kostenlose Bücher