Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Verschwiegenheit der Nacht:
Das Leben ist an Möglichkeit gebunden,
Und ihre Grenzen sind oft eng gezogen;
Der Freude Maß wird spärlich zugewogen,
Des Leidens Knäuel langsam abgewunden.
Allein der Mitternacht geheime Stunden
Sind günstiger dem Sterblichen gewogen;
Wer um des Tages Glück sich fühlt betrogen,
Der heilt im süßen Traum des Wachens Wunden;
stille, durch poetische Innigkeit ausgezeichnete Be-
kenntnisse, an denen sich glücklicherweise die be-
scheidene Hoffnung des Dichters:
1821
Vielleicht geschieht's, daß freundliches Gefallen
Vom Untergange kleine Anzahl rette,
und nicht die Resignation der zwei folgenden Zeilen
erfüllt hat:
Sonst in des Zeitenstromes breitem Bette
Ist ihr natürlich Los, schnell zu verhallen.
In der Nähe der Fensterwand steht der Schreibtisch,
kein elegantes Tischchen, sondern ein schwerer,
massiver Bau aus Mahagoniholz, ersichtlich »ein
Krieger für den Werkeltag«. Auf ihm, und zwar in der
Mitte desselben, erhebt sich eine antike Doppelher-
me, rechts daneben ein Torso, links aber die be-
rühmte, vom Maler Asmus Carstens herrührende
Statuette einer Parze, die am Sockel die Namensin-
schrift des Künstlers und die Jahreszahl 1795 trägt.
An der gegenüberliegenden Wand, so daß das Auge
des Schreibers, sooft er aufblickte, darauf fallen
mußte, befinden sich die Statuen der Kapitolinischen
Venus und der Venus von Milo, zwischen beiden ein
Panorama von Rom und die Konstantins-Schlacht,
nach dem berühmten Raffaelischen Bilde. Die Ge-
samtheit der in diesem Zimmer vorhandenen Kunst-
schätze aufzählen zu wollen hieße den Leser ermü-
den; nur einer Kreidezeichnung Thorwaldsens, »Bac-
chus, welcher dem Amor zu trinken gibt«, sei noch,
ihrer besonderen Lieblichkeit und Grazie halber, er-
wähnt.
1822
Von den Bildern und Statuen hinweg treten wir jetzt
an die Glas- und Bücherschränke heran, die ihrem
Inhalte nach, wenigstens teilweise, der Humboldt-
schen Zeit angehören und uns somit Gelegenheit
geben, einen Einblick in die privateren Studien,
selbst in die Unterhaltungslektüre des Gelehrten zu
tun. Da haben wir Byrons »Life and Works« in sieb-
zehn und Adam Smiths »Wealth of Nations« in drei
Bänden; Loudons »Encyclopaedia of Gardening« und
Cooks Reisen um die Welt; Schleiermachers Predig-
ten in acht und die Schriften der Rahel in drei Bän-
den; Voltaire und Rousseau in zusammen vierund-
siebzig Halbfranzbänden friedlich nebeneinander;
Goethe in einer Ausgabe von 1817; Bulwers »Eugen
Aram« und »Rienzi« in großem Originalformat und
Adelungs Wörterbuch in vier mächtigen Schweinsle-
derbänden. Bescheiden in einer Ecke lehnen zwei der
berühmtesten Werke Wilhelms von Humboldt selbst
und führen, in Goldbuchstaben auf Dunkelblau, ihre
wohlbekannten Titel: Ȇber die Kawi-Sprache auf
der Insel Java« und »Über die Verschiedenheit des
menschlichen Sprachbaus«.
Neben dem Arbeitszimmer befindet sich das ehema-
lige Schlafcabinet Wilhelms von Humboldt, in dem er
am 8. April 1835 starb. Der überaus kleine Raum ist
gegenwärtig unbenutzt und dient nur zur Aufstellung
zweier weiblicher Torsen aus parischem Marmor, die
zur Zeit des ägyptischen Feldzugs (1799) durch ei-
nen französischen Offizier von Athen nach Rom ge-
bracht und an den Kunsthändler Antonini daselbst
verkauft wurden. Von diesem erstand sie Wilhelm
von Humboldt. Nach dem einmütigen Urteil aller
1823
Sachverständigen gehören diese Torsen zu dem
Schönsten, was wir an weiblichen Körpern von grie-
chischer Kunst besitzen. Professor Waagen ist der
Meinung, daß beide einer Gruppe von Grazien ange-
hören, deren dritten Torso er in der Skulpturen-
sammlung des Herrn Blundell Weld in der Nähe von
Liverpool entdeckt zu haben glaubt.
1. Es scheint zweifelhaft, ob Tegel 1765 durch
Kauf oder 1766 als Frauengut an den Major von Humboldt kam. Ich finde nämlich anderen Orts, aus ersichtlich guter Quelle, folgen-
des: »1766 vermählte sich der Ohristwacht-
meister (Major) von Humboldt mit Marie Eli-
sabeth, geborne Colomb, verwitwete Frau von
Hollwede. Aus dieser Ehe wurden Wilhelm und
Alexander von Humboldt geboren. Die Mutter
der beiden Brüder war, als Erbtochter des Di-
rektors Johann Heinrich Colomb, Besitzerin
von Ringenwalde in der Neumark, Tegel und
Falkenberg (anderthalb Meilen von Berlin). In
der Falkenberger Kirche ließ Frau von Hum-
boldt 1795 ein Erbbegräbnis bauen, in dem
sowohl sie
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