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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Ausschluß der früh verstorbenen
    Kinder, drei Töchter und zwei Söhne geboren. Die
    beiden Söhne erhielten die großen oberschlesischen
    Güter, die Töchter Tegel. Die älteste Tochter, Karoli-
    ne von Humboldt, blieb unverheiratet und überlebte
    ihren Vater um kaum zwei Jahre. Die zweite Tochter,
    Adelheid von Humboldt, war mit dem Generallieute-

    1818
    nant von Hedemann vermählt und besaß Schloß Te-
    gel als väterliches Erbteil von 1835 bis zu ihrem To-
    de 1856. Nach ihrem Tode (sie starb kinderlos) ging
    Tegel nunmehr auf die dritte Schwester, Gabriele
    von Humboldt, Witwe des ehemaligen Gesandten in
    London und Staatsministers von Bülow, über. Das
    schöne Gut wird aber nicht im Besitz ihrer Deszen-
    denz verbleiben, sondern fällt, nach dem Ableben der
    Frau von Bülow, an die ältere männliche Linie, will
    sagen an den Besitzer der schlesischen Herrschaft
    Ottmachau zurück.
    Wir haben inzwischen die Ahorn- und Ulmenallee
    durchschritten und stehen nunmehr, rechts einbie-
    gend, unmittelbar vor dem alten Schloß. Die räumli-
    chen Verhältnisse sind so klein und die hellgelben
    Wände, zumal an der Frontseite, von solcher
    Schmucklosigkeit, daß man dem Volksmunde recht
    geben muß, der sich weigert, von » Schloß Tegel « zu sprechen, und diesen Diminutivbau beharrlich »das
    Schlößchen« nennt. Man erkennt deutlich noch die
    bescheidenen Umrisse des alten Jagdschlosses, des-
    sen einzig charakteristischer Zug, neben einem grö-
    ßeren Seitenturm, in zwei erkerartig vorspringenden
    Türmchen oder Ausbuchtungen bestand. Diese Er-
    kertürmchen sind dem Neubau, der 1822 unter
    Schinkels Leitung begonnen wurde, verblieben, wäh-
    rend der große Seitenturm das hübsche Motiv zur
    Restaurierung des Ganzen abgegeben hat. An den
    vier Ecken des alten Hauses erheben sich jetzt vier
    Türme von mäßiger Höhe, die derart eingefügt und
    untereinander verbunden sind, daß sie im Innern
    nach allen Seiten hin die Zimmerreihen erweitern,

    1819
    während sie nach außen hin dem Ganzen zu einer
    Stattlichkeit verhelfen, die es bis dahin nicht besaß.
    Wir treten nun ein und befinden uns auf dem niedri-
    gen, aber ziemlich geräumigen Hausflur, der ganz im
    Charakter eines Atriums gehalten ist. Kurze dorische
    Säulen tragen Decke und Gebälke, eine einfach ge-
    musterte Steinmosaik füllt den Fußboden, und Bas-
    reliefs aller Art und Größe schmücken zu beiden Sei-
    ten die Wand. Ziemlich in der Mitte des Atriums er-
    hebt sich, auf einem Sockel oder Fußgestell, die ei-
    gentliche Sehenswürdigkeit desselben: eine antike,
    mit bacchischen Reliefs verzierte Brunnenmündung,
    die sich vormals in der Kirche St. Calisto in Trasteve-
    re zu Rom befand. Der Sage nach soll der heilige
    Calixtus in dieser marmornen Brunnenmündung er-
    tränkt worden sein, weshalb das Wasser, das aus
    derselben geschöpft wurde, lange Zeit für wundertä-
    tig galt. Wilhelm von Humboldt, während seines
    langjährigen Aufenthalts in Rom, brachte dieses inte-
    ressante Kuriosum käuflich an sich und schmückte
    dasselbe mit folgender lateinischer Inschrift: »Puteal, sacra bacchica exhibens, idem illud, in quo, ad mar-tyrium patiendum, circa A. CCXXIII, S. Calistus im-
    mersus traditur, ex eiusdem S. Calisti aede Romana
    Transtiberina emptionis iure hue devectum.« (Also
    etwa: »Diese Brunnenmündung, einen Bacchuszug
    auf ihrer Außenseite darstellend, ist dieselbe, in wel-
    cher, einer Sage nach, der heilige Calixtus ertränkt
    wurde und das Martyrium erduldete, etwa 223 nach
    Christus. In der Kirche des heiligen Calixtus zu Tras-
    tevere bei Rom käuflich erstanden, wurde sie [die
    Brunnenmündung] hierher gebracht.«)

    1820
    Zu beiden Seiten des Atriums befinden sich ver-
    schiedene Räumlichkeiten, die alle ohne Bedeutung
    sind, mit Ausnahme des nach rechts hin gelegenen
    Studierzimmers Wilhelms von Humboldt. Vieles darin
    erinnert noch an seinen ehemaligen Bewohner, der
    hier die reifsten seiner Arbeiten überdachte und nie-
    derschrieb. Hier entstanden, seiner Familie selbst ein
    Geheimnis und nach seinem Tode erst aufgefunden,
    jene Sonette, die Alexander von Humboldt gewiß mit
    Recht »die Selbstbiographie, die Charakteristik des
    teuren Bruders« genannt hat. Hier traten, in mitter-
    nächtiger Stunde, jene stillen Klagen und Bekennt-
    nisse ans Licht, zu deren sorglicher Konzipierung und
    Gestaltung ihm die Arbeit des Tages keine Muße ge-
    gönnt hatte; hier schrieb er in Dankbarkeit gegen die
    Stille und

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