Wanderungen durch die Mark Brandenburg
es
durch die Stadt: Michel Protz ist tot. Das halbe Ruppin folgte, und das ganze hat ihm in den Jahren, die seitdem vergangen sind, ein huldigendes Andenken
bewahrt. Was verletzte, ist vergessen, was gefiel, ist
in dankbarer Erinnerung geblieben. Er erinnert in
manchem an Schadow, in anderem an Geist von
Beeren; denn auch darin war er deutsch, speziell
norddeutsch, daß sein ganzes Wesen mit Schaber-
nack und Till-Eulenspiegelei durchsetzt war.
Das Grabdenkmal, das ihm auf dem »alten Kirchhof«
errichtet wurde, gibt die einfachen Daten seiner Ge-
burt und seines Todes.
Ein gutes Portrait von ihm befindet sich in Händen
des Kaufmann Kunz.
206
8. Gustav Kühn
9.
»Bei Gustav Kühn
In Neuruppin.«
In der Mitte der Stadt, gegenüber dem Häuservier-
eck, darin Schinkel und Günther und auch der Held
unseres letzten Kapitels: Michel Protzen, das Licht
der Welt erblickten, erhebt sich ein kleines, nur drei
Fenster breites Häuschen, dem ein neu aufgesetztes
Stockwerk nur wenig zu gesteigertem Ansehen ver-
hilft. Auf dem schmalen Hofe des Häuschens aber
drängen sich die Hintergebäude, und jeder Zollbreit
Erde ist benutzt. Hier erinnert die Beschränktheit und
zu gleicher Zeit die sorgliche Ausnutzung des Raums
an den Geschäftsbetrieb englischer Zeitungslokalitä-
ten. Aber was sind die Londoner Blätter im Vergleich
zu jenen kolorierten Blättern, die aus dieser kleinen
Ruppiner Offizin hervorgehen? Was ist der Ruhm der
»Times« gegen die zivilisatorische Aufgabe des Rup-
piner Bilderbogens? Die »Times«, die sich mit Recht
das »Weltblatt« nennt, gleicht immer nur dem angli-
kanischen Geistlichen, dem hochkirchlichen Bischof,
der, an schmalen Küstenstrichen entlang, in den
großen, reichbevölkerten Städten der andern Hemi-
sphäre seine Wohnung aufschlägt und seines Amtes
waltet, der Gustav Kühnsche Bilderbogen aber ist der Herrnhutsche Missionar , der überallhin vordringt, 207
dessen Eifer mit der Gefahr wächst und der die eine
Hälfte seines Lebens in den Rauchhütten der Grön-
länder, die andre Hälfte in den Schlammhütten der
Fellahs verbringt. Chamisso erzählt in seiner »Reise
um die Welt«, daß er, nach selbst gemachter Erfah-
rung, Kotzebue für den verbreitetsten Schriftsteller
halten müsse, denn er sei demselben, und zwar ei-
nem Bande seiner Komödien, 1818 auf der Insel Ta-
hiti begegnet. Aber noch einmal, was will eine solche
Verbreitung sagen neben der Verbreitung jener Drei-
pfennigbogen, die mit der wohlbekannten Notiz: » bei Gustav Kühn in Neuruppin « über die Welt flattern.
Gebiete, die Barth und Overweg, die Richardson und
Livingstone erst aufgeschlossen – der Kühnsche Bil-
derbogen war ihnen vorausgeeilt und hatte längst
vor ihnen dem Innersten von Afrika von einer Welt
da draußen erzählt. Er flieht die Gegenden, drin der
Kupferstich und das Ölbild vorwalten, aber wo die
Glaskoralle und der Zahlpfennig ein staunendes Ah
und die Begierde nach Besitz wecken, in den engeren
und weiteren Bezirken des Königs von Dahomey – da
ist er zu Haus. Den Marañón und den Orinoco auf-
wärts, wo die Kolibris wie Blüten und die Blüten wie
Schmetterlinge sich schaukeln, dort, wo alles Glanz
und Farbe ist, tritt er kühn und siegreich auf und
stellt die Kolorierkunst seiner Schablone – die un-
beeinflußt von den neuen Gesetzen der Farbenzu-
sammenstellung ihre ehrwürdigen Traditionen wahrt
– siegreich in die Zauber der Tropennatur hinein. Auf
den Inseln der schottischen Westküste war es mir
selbst vergönnt, diese Landsleute, diese Boten aus
der engeren Heimat zu begrüßen. Die Fingalshöhle,
die Gestalt König Fingals selbst, die wie ein Nebel-
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phantom auf der öden Klippe von Morven stand, war
nicht mächtig genug gewesen, diese Sendboten ab-
zuhalten, sie waren eingezogen in die Hütten der
Macleans und Macdonalds.
Lange bevor die erste »Illustrierte Zeitung« in die
Welt ging, illustrierte der Kühnsche Bilderbogen die
Tagesgeschichte, und was die Hauptsache war, diese
Illustration hinkte nicht langsam nach, sondern folgte
den Ereignissen auf dem Fuße. Kaum daß die Tran-
chéen vor Antwerpen eröffnet waren, so flogen in
den Druck- und Kolorierstuben zu Neuruppin die
Bomben und Granaten durch die Luft; kaum war
Paskewitsch in Warschau eingezogen, so breitete
sich das Schlachtfeld von Ostrolenka mit grünen Uni-
formen und polnischen Pelzmützen vor dem erstaun-
ten Blick
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