Wanderungen durch die Mark Brandenburg
gehörte nun unser Johann Christian
Gentz sicherlich nicht . Der historische Stil war ihm fremd; er war ganz und gar Genre. Die Geschichtsbücher werden deshalb nichts von ihm zu vermelden
haben; der »Kenner« aber, der aparten Erscheinun-
gen liebevoll nachgeht und das Beachtens- respekti-
ve Berichtenswerte nicht bloß da findet, wo Glocken-klang und Kanonendonner ein Leben begleiten, ein
solcher wird sich an einer Gestalt wie die des »alten
Gentz« immer herzlich erfreuen, weil sie, mit Ver-
meidung alles alltäglich Wiederkehrenden und blas-
sen Allgemeinen, so viel farbenfrische Lokaltöne
zeigt. Eine Figur wie die seinige war nur in der Mark
und innerhalb dieser vielleicht nur wieder im Ruppin-
schen möglich, denn er hatte nicht bloß kleinbürger-
liche Verhältnisse (wie sie dieser Grafschaft eigen-
tümlich sind) zur Voraussetzung, sondern baute sei-
nen Reichtum auch auf etwas spezifisch Ruppin-
schem auf: auf dem Torf . Soll er in wenig Strichen charakterisiert werden, so darf man sagen, er war
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eine merkwürdige Mischung von Schlauheit und Bon-
hommie, von innerlicher Freiheit und äußerlichem
Sich-Schicken, von Pfennigängstlichkeit und Unter-
nehmungskühnheit, alles auf Grundlage tief einge-
wurzelten und mit Vorliebe gepflegten Spießbürger-
tums.
Der äußere Gang seines Lebens ist bald erzählt. Von
illustrierenden Zügen füg ich nur einzelnes hinzu.
Johann Christian Gentz wurde den 26. Juli 1794 ge-
boren. Sein Vater war ein kleiner Tuchmacher, und
der Sohn trat mit dreizehn Jahren in das väterliche
Handwerk ein. Dann kamen Wanderjahre. 1820, in-
zwischen von seinen Kreuzundquerzügen zurückge-
kehrt, verheiratete er sich mit Juliane Voigt und er-
stand von ihrem Vermögen, 2000 Taler, ein kleines
Eisen- und Kurzwarengeschäft, das sich schon da-
mals in dem eingangs erwähnten Hause (dem Gus-
tav Kühnschen schräg gegenüber) befand. Er fühlte
was vom Handelsgeist in sich, und diesem Geiste
folgend, ging er bald von dem Eisen- und Kurzwa-
rengeschäft zum Bank- und Wechselgeschäft über;
endlich wurde das Wustrauer Luch erstanden und
Gentzrode gegründet, über welche Gründung ich, am
Schluß dieses Bandes, in einem besonderen Ab-
schnitt ausführlich berichte. Diese Gründung von
Gentzrode war das letzte große Unternehmen. Aber
ehe die Tausende dafür verausgabt werden konnten,
mußten die Einer und Zehner erworben werden. Das
forderte einen langen und mühevollen Weg.
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Wie er diesen Weg machte, welche Mittel er ersann,
um zu seinem Ziele zu gelangen, ist bezeichnend für
den Mann. Um drei Uhr war er auf und begann da-
mit, den Laden selber auszufegen. Dies verriet Kraft
und Energie und vor allem jenen Mut, der dem Gere-
de der Leute Trotz bietet. Eine Art von Genie aber
entwickelte er in seinem Verkehr mit dem Publikum.
Von einer seiner Meßreisen hatte er eine acht Fuß
hohe Spieluhr mitgebracht, die fünf Lieder spielte.
Wollte nun eine wohlhabende Bauerfrau, die nach
seiner Meinung noch nicht genug gekauft hatte, den
Laden wieder verlassen, so zog er an der Uhr, die
sofort »Schöne Minka, du willst scheiden« zu spielen
begann. Die Frau blieb nun, um weiter zu hören, und
fiel als Opfer ihrer Neugier oder ihres musikalischen
Sinnes. Als die Uhr defekt geworden war, schaffte er
statt ihrer eine Schwarzdrossel an, die in gleicher
Lage pfeifen mußte:
Mein Schätzchen, mein Schätzchen, kommst immer her
Und bringst mir gar nichts mit?
Der schon vorerwähnte Kauf der Wustrauer Wiesen
erfolgte gegen 1840 und legte, wenigstens nach da-
maligen Begriffen, das Fundament zu wirklichem
Reichtum. Was bis dahin erworben war, bedeutete
nicht viel mehr als eine mittlere Wohlhabenheit. Im
Loch aber lag ein Schatz. Erst von jenem Zeitpunkt
ab hob sich, mit der finanziellen Lage des Besitzers,
auch der Torfbetrieb überhaupt. In unseren residenz-
lichen Heizungsverhältnissen bildet übrigens der
Torf, wie hier parenthetisch bemerkt werden darf,
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nur eine »Episode«, die rapid ihrem Abschluß entge-
gengeht. Anfang dieses Jahrhunderts begann sie zu
blühen, und ehe hundert Jahre um sein werden, wird
sie gewesen sein. Wie bei der Newcastler Steinkohle,
so ist auch beim Linumer Torf sein Ende vorausbe-
rechnet.
Aber zurück zu unserm Christian Gentz.
Etwa 1855 schied er aus den Geschäften, dieselben
seinem jüngeren Sohne Alexander (siehe das Kapitel
»Gentzrode«) überlassend. In einem am
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