Wanderungen durch die Mark Brandenburg
der Menge aus, und tief sind meinem Ge-
dächtnisse die Dänen eingeprägt, die in zinnoberro-
ten Röcken vor dem Danewerk lagen, während die
preußischen Garden in Blau auf Schleswig und
Schloß Gottorp losrückten. Dinge, die keines Men-
schen Auge gesehen, die Zeichner und Koloristen zu
Neuruppin haben Einblick in sie gehabt, und der
»Birkenhead«, der in Flammen unterging, der »Prä-
sident«, der zwischen Eisbergen zertrümmerte, das
Auge der Ruppiner Kunst hat darüber gewacht. An-
dere, ähnliche Unternehmungen sind seitdem ins
Dasein getreten, der Münchener Bilderbogen hat sei-
ne Welttour gemacht, Winkelmann und Söhne haben
durch Abbildungen von Stauffacher, Franz Moor und
der Jungfrau von Orleans der dramatischen Kunst die
Schleppe getragen, aber was immer ihre Erfolge ge-
wesen sein mögen, sie haben sich schlechter auf den
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Geschmack des großen Publikums verstanden und
haben die rechte Stunde mehr als einmal versäumt.
Da liegt es. In jedem Augenblicke zu wissen, was
obenauf schwimmt, was das eigentlichste Tagesinte-
resse bildet, das war unausgesetzt und durch viele
Jahrzehnte hin Prinzip und Aufgabe der Ruppiner
Offizin . Und diese Aufgabe ist glänzend gelöst worden, so glänzend, daß ich Personen mit sichtlichem
Interesse vor diesen Bildern habe verweilen sehn,
die vor der künstlerischen Leistung als solcher einen unaffektierten Schauder empfunden haben würden.
Aber die Macht des Stoffs bewährte sich siegreich an
ihnen, und sie zählten (wie ich selbst) mit leiser Be-
friedigung die Leichen der gefallenen Dänen, ohne
sich in ihrem künstlerischen Gewissen irgendwie be-
drückt zu fühlen.
Die Frage nach dem Recht dieser Bilder, »die den Geschmack mehr verwildern als bilden«, ist aufgeworfen und dabei hinzugesetzt worden, daß Leistun-
gen der Art in künstlerisch gesegneteren Zeiten und
bei feiner gearteten Völkern eine bare Unmöglichkeit
sein würden. Vielleicht. Nach der künstlerischen Sei-
te hin sind diese Dinge preiszugeben, aber sie haben
eine andre, nicht minder wichtige Seite. Sie sind der
dünne Faden, durch den weite Strecken unseres ei-
genen Landes, litauische Dörfer und masurische Hüt-
ten, mit der Welt draußen zusammenhängen. Die
letzten Jahrzehnte mit ihrem rasch entwickelten Zei-
tungswesen, mit ihrer ins Unglaubliche gesteigerten
Kommunikation haben darin freilich viel geändert,
aber noch immer gibt es abgelegene Sumpf- und
Heideplätze, die von Delhi und Kanpur, von Magenta
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und Solferino nichts wissen würden, wenn nicht der
Kühnsche Bilderbogen die Vermittelung übernähme.
Seine Uhr ist noch nicht abgelaufen, und das schma-
le Haus in der Ruppiner Friedrich-Wilhelms-Straße
hat noch immer seine Bedeutung.
10. Johann Christian Gentz
Tor! wer die Augen nach dem Jenseit richtet,
Sich über Wolken seinesgleichen dichtet!
Er stehe fest und sehe hier sich um,
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen,
Was er erkennt, das will er auch ergreifen.
Fast unmittelbar neben dem Michel Protzschen Hau-
se, dem Gustav Kühnschen schräg gegenüber, lag
das Gentzsche Haus, so geheißen nach Johann Chris-
tian Gentz, der hier, durch fast ein halbes Jahrhun-
dert hin (und dann sein Sohn), ein für Ruppiner Ver-
hältnisse großes kaufmännisches Geschäft hatte.
Johann Christian war ein Original und zugleich ein
Mann, der, innerhalb der gewerblichen und merkanti-
len Welt, von der Pike an gedient hatte. Derartige
Persönlichkeiten haben in ihren Lebensgängen immer
etwas Verwandtes: sie finden eine Stecknadel, heben
sie sorglich auf und heften schließlich mit dieser
Stecknadel ein Adels- respektive Grafendiplom an
ihre Gobelinwand, oder aber sie gehen, spekulativer
angelegt, an der Stecknadel vorüber, beteiligen sich,
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unter Einzahlung eines Minimalbeitrages, an irgend-
einer wundertätigen Sparkassengründung und endi-
gen mit Erbauung von Schulen und Kirchen und
Christianisierung eines meistbietend erstandenen
Südsee-Archipels. England und Amerika sind reich an
solchen Erscheinungen. Mitunter lenken sie nebenher
auch noch ins Politische über, zeigen einem verblen-
deten oder auch nicht verblendeten Fürsten den
»Abgrund, an dem er wandelt«, und werden schließ-
lich auf einem Gruppenbilde (Hautrelief in Marmor)
in irgendeiner Guildhall zur Bewunderung und Nach-
eiferung kommender Geschlechter ausgestellt.
In diese Gruppe
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