Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Protzen
    nicht. Er war nichts weniger als eine Idealgestalt, am
    wenigsten nach der Seite der Freiheit hin. Durchaus
    herrisch von Natur, wurzelte das Stück Bürgertum,
    das er vertrat, nicht in geklärten Anschauungen oder
    in dem Enthusiasmus eines frei fühlenden und nur
    das Große und Allgemeine im Auge habenden Her-
    zens, sondern in dem Eigensinn und Eigennutz eines
    festen und sich selbst zum Mittelpunkte setzenden
    Egoisten. Er erinnerte durchaus an jene deutsch-
    mittelalterlichen Tage, wo man die Freiheit nicht um
    der Freiheit, sondern um seiner selbst willen liebte.
    Alles in Selbstsucht getaucht, aber anziehend und
    fesselnd wie jedes, was aus Natur und Leidenschaft

    203
    emporwächst. Dieser Gruppe von Gestalten gehörte Michel Protzen zu. Nichts von Idee und Prinzip, desto
    mehr von Charakter.
    Und so war er von Jugend auf. Als 1806 ein französi-
    scher General im Gasthause seines Vaters wohnte,
    gab es Anstoß, daß unser damals erst halberwachse-
    ner Michel sich weigerte, die französischen Offiziere
    zu grüßen. Als Strafe ward ihm schließlich zudiktiert,
    bei Tische hinter dem Stuhle des Generals zu stehen
    und diesen zu bedienen. Er gehorchte und verharrte
    in seinem Trotz. Dreißig Jahre später führte derselbe
    Charakterzug, der darin bestand, keiner Regung sei-
    ner Seele, berechtigt oder nicht, je Zaum und Zügel
    anzulegen, zu einem ähnlichen Zerwürfnis mit dem
    Ruppiner Offiziercorps, an dessen Spitze gerade da-
    mals der durch Tapferkeit, Originalität und Anekdo-
    ten gleich berühmte Oberst von Petery stand. Michel
    Protzen ließ das Zerwürfnis fortbestehen, trotz des
    materiellen Schadens, der ihm daraus erwuchs.
    Er war ebenso populär, wie er derb war, und das will
    viel sagen. Die bloße Grobheit an sich leistet das
    nicht, und erst wenn sie sich, wie bei Protzen, ent-
    weder mit Humor und Originalität oder aber anderer-
    seits mit Mut und Gesinnung paart, erobert sie die
    Herzen. Mannigfach sind die Anekdoten, die darüber
    im Schwange gehen. Reilstab, damals auf der Höhe
    seines Ruhmes, kam nach Ruppin, um seine Schwes-
    ter zu besuchen. Er erschien zu Fuß und bat in Mi-
    chel Protzens Gasthaus um ein Zimmer. »Mein Gast-
    hof ist nicht für Leute mit Ränzel und Regenschirm.«
    Und bei anderer Gelegenheit vor Gericht zitiert und

    204
    in Gegenwart des Klägers zu zwei Taler Strafe verur-
    teilt, weil er sich an diesem, einem Klempnergesel-
    len, mit einer Ohrfeige vergriffen hatte, applizierte er demselben sofort eine zweite und zahlte vier Taler.
    Ein Mann von solchem Gefüge war selbstverständlich
    nicht nur in aller Mund, er gab auch den Ton an.
    Wenn über Nacht der erste Schnee gefallen war,
    stellte er sich am andern Morgen an die Ecke seines
    Gasthauses und weckte die Stadt durch das weithin
    schallende Knallen seiner Schlittenpeitsche. Dann
    dehnte sich der Ruppiner und sagte: »Jetzt ist Schlit-
    tenzeit.« Aber noch eh er den seinigen aus der Re-
    mise schaffen und die mageren Braunen einspannen
    konnte, fuhr schon Michel Protzen mit Schneedecken
    und Schellengeläute durch die breiten Straßen der
    Stadt an ihm vorüber.
    Ganz und gar eine deutsche Figur, in vielem ein
    Landsknechthauptmann vom Wirbel bis zur Zeh, be-
    saß er auch den tief im germanischen Wesen liegen-
    den Zug zum Hasard. Wie unsre Ururväter spielte er
    um all und jedes, und nur das Ganze setzte er nicht ein, nicht Freiheit und Leben. Piquet und Whist en
    deux zählten zu seinen Lieblingsbeschäftigungen,
    und wenn sein Gegner um den Einsatz verlegen war,
    ging es, je nach Laune und Zahlungsmöglichkeit, um
    Klafter Holz und Gänse.
    Er war populär, aber nicht eigentlich beliebt. Um be-
    liebt zu sein, dazu war er zu gefürchtet. Niemand
    war sicher vor ihm, denn sein Mund und seine Hand
    (wie schon an einem Beispiele gezeigt) waren gleich

    205
    schlagfertig. Dazu gebrach's ihm an Gebelust, an
    jener Generosität, auf die hin die Schlagfertigkeit
    unter Umständen schon etwas sündigen kann. Gele-
    gentlich war er nicht ohne Gutmütigkeit, aber sie
    glich bloßen Anfällen wie von Gicht oder Podagra.
    Wie alle Despoten war er launenhaft.
    Die letzten Jahre seines Lebens söhnten mit man-
    chem aus. Im März 1848 stand er fest zu König und
    Gesetz. Er hatte vom Spießbürgertum zu viel gese-
    hen, als daß er sich von der Herrschaft desselben
    eine »neue Ära« hätte versprechen können. Er lachte
    und – war gröber denn zuvor.
    So kam der Dezember 1855. Eines Morgens lief

Weitere Kostenlose Bücher