Wanderungen durch die Mark Brandenburg
dem Entwurf des Musters zu ei-
nem Gewebe beschäftigt.
2. In solchen Momenten war ihm der kunstsinni-
ge Kronprinz ein Trost und eine Erhebung.
»Kopf oben, Schinkel; wir wollen einst zu-
sammen bauen«, das war die Zauberformel,
vor der alle Trübsal schwand. Charlottenhof,
»das in Rosen liegt«, war nur ein Anfang;
ganz andere Dinge noch waren geplant und
harrten ihrer Ausführung. Ob das Einverneh-
men dasselbe geblieben wäre, wenn Schinkel
die Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV.
um mehr als wenige Monate überlebt hätte,
steht freilich dahin. Fast möchten wir es be-
zweifeln. Der König war eben König, und
Schinkel, wenn auch in vielem nachgiebig,
war doch sehr fest in seinen Kunstprinzipien.
Die einzige Begegnung, die sie noch hatten,
verlief nicht ermutigend. Schinkel, wenige
Tage nach der Thronbesteigung bereits zum
Könige berufen, war nicht da; er war ohne Ur-
laub nach Ruppin gereist. Als er erschien,
wurd er mit den Worten empfangen: »Sie ha-
ben sich wohl vor dem Kanonendonner ge-
fürchtet, der meinem Volke meine Thronbe-
steigung verkündete.« Gewiß wär alles auf ei-
ne Weile hin wieder eingeklungen; aber, wie
immer auch, der König war eben – der Kron-
prinz nicht mehr.
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8. Michel Protzen
Deutsch und verständlich! Euer Exzellenz schalten und
walten
im Lande! Das ist meine Stube! – Halten zu Gnaden.
Schiller
Aus meiner frühesten Jugend entsinn ich mich sei-
ner. Er war damals erst ein Vierziger, hieß aber
schon der »alte Protzen«. Aufrecht stand er in der
großen Rundtür seines Gasthofes und sah die Straße
hinunter wie König Polykrates:
Dies alles ist mir untertänig;
Gestehe, daß ich glücklich bin.
Er trug einen Rock von altdeutschem Schnitt mit un-
geheuren Knöpfen und einem Kamm auf dem Schei-
tel. In den Nacken hinein fielen ihm die weißen Lo-
cken, und sein mächtiger Kopf, der durch die Po-
ckennarben eher gewann als verlor, erinnerte an das
Kurfürstenbild auf der Langen Brücke. Michel hieß er
und Michel war er, der deutsche Michel in optima forma. Wie jeder Landesteil in einer bestimmten und
dann typisch werdenden Figur kulminiert, so die
Grafschaft Ruppin in Michel Protzen. Denn er war ein
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Antochthone dieser Grafschaft und stammte mit der-
selben Wahrscheinlichkeit aus Dorf Protzen, wie die
Zietens aus Dorf Zieten oder die Schadows aus Dorf
Schadow stammen.
Ein deutscher Bürger, wenn er diesen Namen verdie-
nen soll, muß dreierlei haben: einen Besitz und ein Recht und ein Freiheitsgefühl , das aus Besitz und Recht ihm fließt.
So war es im Mittelalter, in den Reichs- und Hansa-
städten.
Aber als das Königreich Preußen ins Dasein sprang,
stand es in deutschen Landen überall ziemlich
schlecht mit dieser Dreiheit. Hier fehlte Besitz, dort Recht, und das Gefühl der Freiheit konnte nicht aufkommen. Nirgends aber lagen die Dinge kümmerli-
cher als in der Mark, weil nirgends die Besitzverhält-
nisse kümmerlicher lagen. Besitz schafft nicht not-
wendig Freiheit (Despotien sind despotisch auch dem
Reichtum gegenüber), aber der umgekehrte Satz ist
richtig: keine Freiheit ohne Besitz. Und zehn Morgen
Sandland sind kein Besitz. Der Ackerbürger des vori-
gen Jahrhunderts war ein ärmlicher, in die Stadt ver-
schlagener Bauersmann, der, unmittelbar unter den
Druckapparat des absoluten, überallhin eingreifen-
den Staates gestellt, sich nicht einmal der Täuschung
einer Freiheit hingeben konnte, die für den zerstreut
im Sande wohnenden und der Contrôle mehr ent-
rückten Landbewohner gelegentlich noch vorhanden
war.
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So war die Regel.
Aber nach der Lehre vom Gegensatz hat nicht nur jede Regel ihre Ausnahme, sondern die Ausnahme
gestaltet sich gelegentlich auch um so extremer, je
extremer die Regel ist. Inmitten der häßlichsten
Menschen findet man wunderbare Schönheiten, As-
kese blüht in Zeiten sittlichen Verfalls, und in Epo-
chen der Unfreiheit und bürgerlichen Verkommenheit
sprießen die Beispiele höchster Bürgertugend auf. An
der Entfaltung jedes Übermuts gehindert, gedeiht in
solchen Ausnahmefällen der echteste Mut, die
Selbstsucht wird gehindert, ins Kraut zu schießen,
und so wächst sich denn ein die Keime des Idealen in
sich tragendes Einzelindividuum, unter dem allge-
meinen Walten der Unfreiheit und recht eigentlich
infolge dieser Unfreiheit, in einen Idealzustand der Freiheit hinein.
So glücklich lagen nun die Dinge bei Michel
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