Wanderungen durch die Mark Brandenburg
»Tempelto-
re« gelegenen Garten, unter den Bäumen des Walls,
verbracht er mit Vorliebe seine Tage, ländlichen Be-
schäftigungen hingegeben, die nur, von 1857 ab,
durch häufige Nachmittagsfahrten auf das in Grün-
dung begriffene Gut und dann und wann auch durch
weitere Reisen unterbrochen wurden. Die weiteste
dieser Reisen ging nach Paris, wo sein älterer Sohn,
der Maler Wilhelm Gentz, damals lebte. Völlig umge-
wandelt, wenigstens in seiner äußeren Erscheinung,
kam er von dieser Reise zurück. Er trug einen ele-
ganten Anzug aus dem Schneiderkunst-Atelier von
Dusantoy, dazu einen langen, weißen Bart und einen
Fez. In diesem Aufzuge verblieb er auch bis an sein
Lebensende, mit Ausnahme der Dusantoyschen
Schöpfung, die, selbstverständlich, einige Jahre spä-
ter durch bescheidnere Produkte heimischer »Ate-
liers« ersetzt werden mußte. Seines weißen Bartes
war er ganz besonders froh und widerstand allen
Aufforderungen, ihn abzulegen. »Ich habe lange ge-
nug einem hochlöblichen Publikum gedient und einen
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Philisterbart getragen; nun will ich endlich frei sein und einen Demokratenbart tragen.«
Dies führt uns auf seine Gesinnung, auf sein Glau-
bensbekenntnis in politischen und kirchlichen Din-
gen. Personen, die sich aus dem Nichts emporarbei-
ten, haben immer eine Neigung, ins Extrem zu ver-
fallen und entweder alles dem lieben Gott oder aber
alles sich selber anzurechnen. Zählen sie zu den
erstren, also zu den gläubig-kirchlichen Leuten, so
sind sie meist auch loyal, Ordnungsmänner par ex-
cellence, und werden, mit einem Ordenskissen vor-
auf, schließlich als Geheime Kommerzienräte hinaus-
getragen; gehören sie jedoch umgekehrt zu der
zweiten oder der ungläubigen Gruppe, so stehen sie,
wie zur Großautorität Gottes, gewöhnlich auch zu
den Kleinautoritäten der diesseitigen Welt in einem
sehr zweifellustigen Verhältnis und haben in ihrer
ungrammatikalischen Weisheit eine tiefe Neigung,
alles, was nicht ihren Gang geht, unsagbar töricht zu
finden. Innerhalb der Politik sind sie dann jedesmal
treue Anhänger des Satzes: »Alles für das Volk, alles durch das Volk.« Und so war auch der alte Gentz.
Die Zeiten sind vorüber, wo man sich berechtigt
glauben durfte, daraus einen moralischen Makel her-
zuleiten. Das Recht einer freien Entwicklung der
Geister, nach rechts oder links hin, ist zugestanden;
nicht Ziel und Richtung gelten fürder als das sittlich
Entscheidende, sondern der Weg . Wessen Weg über Treubruch, Verrat und Undankbarkeit führt, den
kann kein hohes Prinzip, keine glänzende Fahnenin-
schrift retten; wer umgekehrt lautere Wege wandelt,
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dem gegenüber ist es gleichgültig, wenigstens vom
ethischen Standpunkt aus, wohin diese Wege leiten.
Welche Wege nun wandelte Christian Gentz? Wir
lassen dabei die bisher berührten Punkte fallen und
beziehen die Frage nicht mehr auf Politik und Kirche,
sondern auf sein Leben überhaupt. Die Antwort wird
verschieden ausfallen, je nachdem der Beantworten-
de die Lust und Fähigkeit mitbringt, Menschen und
Dinge mit dem Maßstabe zu messen, der in den
Menschen und Dingen selber gelegen ist. Macaulay
sagt, bei Beurteilung des Machiavellischen »Fürsten-
spiegels«, etwa das folgende: »Die Anklagen, die
dieser Fürstenspiegel erfahren hat, gehen zumeist
daraus hervor, daß der germanische Norden Europas
andere Ideale hegt als der romanische Süden. Dem
Germanen bedeuten Tapferkeit und Treue das
Höchste, der Italiener dagegen zollt der überlegenen
Klugheit, der List, der feingesponnenen Intrigue die-
selbe Bewunderung, die wir jedem Percy Heißsporn
entgegentragen, der ein Dutzend Schotten zum
Frühstück verzehrt.«
Hieraus ist leicht die Nutzanwendung auf den vorlie-
genden Fall gezogen. Im allgemeinen sind wir hier-
landes und zumal in den Herzen unsrer Besten im-
mer noch von jenem altpreußischen Gefühl durch-
drungen, das in dem schönen »Ich dien« seinen
selbstsuchtslos-hingebenden und zugleich stolzen
Ausdruck gefunden hat. »Meine Seele Gott und mein
Blut dem König!« – ja, diese Devise lebt noch in
hunderttausend Herzen, und der Himmel woll es fü-
gen, daß uns das entsprechende Gefühl bis in weite
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Zukunftstage hinein erhalten bleibt. Aber so gewiß es
gestattet sein muß, sich in schwärmerischem Eifer zu
dieser Empfindung zu bekennen, so gewiß ist es
doch auch, daß dies eine Feiertagsempfindung ist,
neben der eine
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