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Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Titel: Wanderungen durch die Mark Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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1840
    Die Stürme waren verweht; das gedemütigte Preu-
    ßen war zweimal, unter den Klängen des »Pariser
    Einzugsmarsches«, in die feindliche Hauptstadt ein-
    gezogen; Friede war wieder, und die Paretzer Tage
    brachen wieder an. Nicht mehr Tage ungetrübten
    Glücks; sie, die diese Tage verklärt, diese Tage erst
    zu Tagen des Glücks gemacht hatte, sie war nicht
    mehr; aber Tage der Erinnerung. Die Zeit heilt alles;
    nur ein leises Weh bleibt, das in sich selber ein Glück ist; ein klarer Spätsommertag, mit einem durch-leuchteten Gewölk am Himmel, so erschien jetzt Pa-
    retz.
    Nach wie vor wurde das Erntefest gefeiert; ein Jahr-
    zehnt verging, ein zweites begann. Die Heiterkeit der
    Dörfler war dieselbe geblieben, auch ihre Unbefan-
    genheit im Verkehr mit der »Herrschaft«. Eine Alte,
    der der König im Vorübergehen versicherte, mit
    nächstem würden alle seine Kinder zu Besuch ein-
    treffen, antwortete ohne weiteres: »Die Russen
    ooch?« Diese vertrauliche Ausdrucksweise mußte
    sich, hinter seinem Rücken wenigstens, der allmäch-
    tige Zar gefallen lassen! Der König hatte herzliche
    Freude an solcher Unbefangenheit und nährte sie
    durch hundert kleine Dinge, die zuletzt auch die
    Scheu des Allerbefangensten besiegen mußten. Bei

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    einer der Festlichkeiten, die den »Russen« zu Ehren
    gegeben wurden, drängte sich des Schäfers Sohn
    herzu, ein unglückliches Kind, das an beiden Füßen
    gelähmt war, und strengte sich an, über den dichten
    Kreis der Umstehenden hinwegzusehen. Niemand
    sah es, nur der König. Er ließ ihn zu sich führen,
    sprach freundlich zu ihm und gab ihm einen Platz an
    seiner Seite.
    Überhaupt die junge Welt hatte es vor allem gut.2)
    Der König, im großen Verkehr beinahe menschen-
    scheu, war ein ausgesprochener Kinderfreund. So
    begegnete er einstmals, während er im Schloßpark
    aus einem mit Pflaumen und Weintrauben gefüllten
    Körbchen aß, einem Jungen und fragte ihn, ob er
    wohl eine Pflaume haben wollte. Der Junge, ein ech-
    ter Märker, schielte über das Körbchen hin und be-
    merkte: »Nee; Plummen hebben wi alleen to Huus;
    wenn't noch 'ne Wiendruv' wär.« Der König lachte
    und gab. – Einen andern hübschen Zug erzählt Ey-
    lert. »›Hast du schon mal Ananas gegessen?‹ fragte
    der König. ›Nee, Majestät.‹ – ›Na, dann iß, aber mit
    Bedacht. Was schmeckst du heraus?‹ Der Junge, an
    den die Frage gerichtet war, kaute, besann sich und
    sagte dann: ›Wurst.‹ Alles lachte. Der König aber
    bemerkte ruhig: ›So trägt jeder seinen Maßstab in
    sich. Dem einen schmeckt die Ananas wie Melone,
    dem andern wie Birne oder Pflaume, diesem wie
    Wurst. Er bleibt in seinem Gefühlskreise.‹ In den
    Speisesaal zurücktretend, wo sich ein Fenster mit
    vielfarbigem Glase befand, fuhr er fort: ›Wer die Ge-
    genstände draußen durch diese violettfarbige Schei-
    be anschaut, hält alles, was er sieht, für violett; so

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    ein anderer alles für grün oder gelb, je nach dem
    Glas, durch das er blickt. Jeder behauptet, recht zu
    haben, und doch haben alle unrecht, und des Wider-
    spruchs und Disputierens ist kein Ende. So geht's vor
    allem den Herren Theologen. Jeder hat da sein
    Glas.‹«
    Derselbe Erzähler, an anderer Stelle das Paretzer
    Leben während der zwanziger und dreißiger Jahre
    zusammenfassend, gibt folgende Schilderung: »Die
    ruhigsten und glücklichsten Stunden, die dem Könige
    noch beschieden waren, hat er in diesem stillen Ha-
    veldorfe verlebt. Alle Singvögel schienen im Paretzer
    Park ihren Lieblingsaufenthalt zu haben; über der
    Landschaft lag ein Duft, die Wiesen immer frisch,
    und über das Sumpfland hin schritten die Störche.
    Der König hatte ein Auge für solche Bilder. Wenn er
    allein sein wollte, hier fand er, was er suchte. Viele
    wichtige Verfügungen sind von diesem abgelegenen
    Punkte ausgegangen. Hier senkten sich tiefer und
    fester in sein Gemüt die Lebensansichten und Grund-
    sätze, die den innern Frieden bewahren. Sein patri-
    archalischer Sinn, hier fand er Genüge.«
    Wann er zuletzt an dieser Stelle war, ist nicht ver-
    zeichnet; wahrscheinlich im Herbst 1839. Im Mai des
    folgenden Jahres, als mit dem Frühling draußen ein
    frisches Leben nicht wiederkommen wollte, sprach er
    mehr als einmal: »Wenn ich nur nach Paretz könn-
    te!« Hoffte er Genesung, oder wollte er Abschied
    nehmen von der Stätte stillen Glücks? Gingen seine
    Gedanken zurück bis an den 20. Mai 1810?

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    Wer sagt es? Als das

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